»Sie wirbt offensiv um junge Ärzte«
Interview: Marc Bebenroth
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat am 22. Juli in München angekündigt, in den kommenden Jahren 800 Millionen Euro in den Sanitätsdienst der Bundeswehr zu stecken. Weshalb sind die Gelder dort nicht unbedingt besser angelegt als in Kriegswaffen?
Für die Summe bekommen Sie keine einzige neue Klinik. Aktuell kann die Bundeswehr verletzte Soldaten in ihren fünf Krankenhäusern versorgen. Bei einem feindlichen Angriff auf die sogenannte Ostflanke der NATO wird derzeit mit circa 1.000 Schwerstverletzten pro Tag gerechnet. Es können aber auch 5.000 sein. Ein großer Teil von denen wäre beatmungspflichtig und benötigte eine Intensivstation. Selbst wenn da jetzt enorm investiert würde, können die militärischen Strukturen allein dieses Aufkommen an Verwundeten nicht auffangen. Es wird nicht ohne die Einbindung ziviler Strukturen gehen.
Ihr Verein hat sich dagegen ausgesprochen, »Soldat*innen wieder kriegstüchtig zu machen und damit den Fortgang eines Krieges zu unterstützen«. Wie ist das mit dem hippokratischen Eid, Verletzten zu helfen, vereinbar?
Das Militär muss möglichst viele Soldaten möglichst schnell wieder kampffähig machen und ihnen vorher glaubhaft versichern können, sie bei einer Verletzung möglichst umfassend zu versorgen. An dieser militärischen Logik wollen wir uns nicht beteiligen. Aber selbstverständlich werde ich jedem Verletzten, der mir irgendwo begegnet, meine Hilfe anbieten.
Eine Kernforderung in der VDÄÄ*-Broschüre lautet: »Weigern wir uns, den Krieg der Reichen auszufechten.« Wie können sich Ärztinnen und Ärzte dem wirksam entziehen?
Es besteht bereits eine Pflicht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes, dem Sanitätsdienst der Bundeswehr Hilfestellung zu leisten. Ein von der Vorgängerregierung angekündigtes Gesundheitssicherstellungsgesetz, das unter anderem die Verpflichtung von zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitswesens im Kriegsfall regeln soll, schaffte es nicht mal zum Entwurf auf Referentenebene. Das Gesetz wird kommen, und wir müssen uns dessen Regelungen genau ansehen. Betroffene können selbstverständlich den Kriegsdienst verweigern, auch vorsorglich.
Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten ist eklatant und spitzt sich weiter zu. Welche Auswirkungen hat die Konkurrenz durch den »Arbeitgeber Bundeswehr« auf den zivilen Sektor?
Die Bundeswehr wirbt offensiv um junge Ärztinnen und Ärzte. Seit einem Jahr bildet sie im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz den Nachwuchs im letzten praktischen Jahr aus sowie im klinischen Studium an der Universität Mainz. Die Bundeswehr fordert darüber hinaus, dass in zivilen Krankenhäusern bestimmte Operationen durch Bundeswehrärzte gemacht werden – zum Beispiel damit diese Leberdurchschüsse behandeln können. Über die berufsgenossenschaftliche Unfallklinik gibt es bereits eine enge Kooperation.
Will das Militär auch bei Neubauten mitreden?
Die Bundeswehr macht Druck bei der Planung von Krankenhäusern: bei den Grundrissen sowie der Verteilung im Bundesgebiet. Es sei außerdem eine Erkenntnis des Ukraine-Kriegs, dass Krankenhäuser über Eisenbahnanschlüsse in unmittelbarer Nähe verfügen sollten und die Bahnhöfe bestimmte Vorgaben erfüllen müssten, damit sie bundeswehrtauglich seien.
Warum sollten Klinikbetreiber Gelder aus der Aufrüstungskasse nicht akzeptieren?
Der Krankenhausbetrieb hat sich mit der Profitorientierung deutlich von den Bedarfen der Bevölkerung entfernt. Die militärischen Komponenten befördern den Trend. So sollen bestimmte Abteilungen gestärkt werden, zum Beispiel die Unfallchirurgie. Dagegen habe ich für sich genommen nichts, aber das geht zu Lasten anderer Bereiche, die für das Militär nicht so interessant sind.
Was fällt Ihnen da ein?
Denkbar ist zum Beispiel, dass es zu Lasten der Onkologie geht. Krebsbehandlungen stellen die Kampffähigkeit von Soldaten nicht kurzfristig wieder her. Aber die Kliniken werden das frische Geld gerne nehmen. Die meisten führen einen Überlebenskampf. Da dürfte es einer Klinikleitung ziemlich egal sein, aus welchem Topf das Geld kommt.
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