Haftbefehl gegen Exminister
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
Das polnische Parlament hat am Freitag die parlamentarische Immunität des früheren Justizministers Zbigniew Ziobro aufgehoben. In einer Serie von insgesamt 27 Teilabstimmungen stimmten jeweils etwa 250 Abgeordnete – und damit einige mehr, als die Koalition an rechnerischer Mehrheit hat – dafür, eine Strafverfolgung Ziobros zu ermöglichen. Im letzten Votum stimmte die Mehrheit auch der Möglichkeit zu, dass die Staatsanwaltschaft den Exminister festnehmen lassen kann.
Ziobro war Chef der 2024 in der PiS aufgegangenen rechten Kleinpartei Suwerenna Polska (Souveränes Polen, SP) und in den bisher drei PiS-Regierungen jeweils Justizminister. Vorgeworfen wird ihm, dass er in zahlreichen Fällen insgesamt über 200 Millionen Złoty (ca. 50 Millionen Euro) aus einem Sondervermögen des Justizministeriums für Wahlkampfzwecke und den illegalen Ankauf einer israelischen Spionagesoftware zweckentfremdet hat. Dazu kommen manipulierte Ausschreibungen, mit deren Hilfe noch kurz vor dem Ende der PiS-Herrschaft Millionen an obskure, kaum gegründete kirchennahe Stiftungen überwiesen wurden.
Der »Gerechtigkeitsfonds«, aus dem das Geld entnommen wurde, soll eigentlich der Resozialisierung von Strafgefangenen sowie der Unterstützung von Kriminalitätsopfern dienen. Finanziert wurden hingegen unter anderem Fahrzeuge für Freiwillige Feuerwehren in den Wahlkreisen von SP-Kandidaten sowie Topfsets für Vereine von Landfrauen. Der Ankauf der Spionagesoftware »Pegasus« diente dem illegalen Abhören der Kommunikation von Politikern der jetzt regierenden Koalition einschließlich ihrer Familienangehörigen – so wurden auch Frau und Tochter von Regierungschef Donald Tusk überwacht – und war außerdem im formalen Sinne illegal. Denn der Geheimdienst ABW, dem die Software zur Verfügung gestellt wurde, darf laut Gesetz nur aus dem Staatshaushalt finanziert werden und eben nicht aus Dispositionsfonds wie dem des Justizministeriums.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass ihre Vorwürfe gegen Ziobro Bestand haben werden. Nicht zuletzt deshalb, weil ein mit der Verteilung der Gelder beauftragter Abteilungsleiter in dem von Ziobro geleiteten Ministerium schon während des Prozederes kalte Füße bekam und entscheidende Besprechungen auf einem Diktiergerät in seiner Jackentasche aufzeichnete. Diese Aufnahmen hat er der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt und genießt dafür den Status eines Kronzeugen. Ein weiteres Argument der Staatsanwaltschaft für den illegalen Charakter der Operationen des Politikers ist ein den Ermittlern in die Hände gefallenes Schreiben von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, worin dieser Ziobro warnte, Geld aus dem »Gerechtigkeitsfonds« für Zwecke der Wahlkampf- oder Parteienfinanzierung zu verwenden: Das könne schwerwiegende nachteilige Folgen haben. Es war also auch auf seiten der PiS ein Unrechtsbewusstsein vorhanden.
Aber so einfach, wie es klingt, wird es mit der Strafverfolgung nicht. Denn Ziobro hat sich im Vorfeld der Parlamentsdebatte über die Aufhebung seiner Immunität nach Ungarn abgesetzt, wohin sich auch schon sein ehemaliger Stellvertreter Marcin Romanowski in Sicherheit gebracht hatte. Dieser hat inzwischen in Ungarn politisches Asyl erhalten, Ziobro hat dieses nach eigenen Angaben bisher nicht beantragt. Er wird aber wohl mittelfristig nicht darum herumkommen, das zu tun. Damit liegt der Ball auf der politischen Ebene: Ungarn muss entscheiden, ob es einen Europäischen Haftbefehl gegen Ziobro vollstreckt und ihn ausliefert –oder nicht, und damit eine erhebliche Verschlechterung der ohnehin bereits strapazierten Beziehungen zu Warschau in Kauf nimmt. Vertreter der polnischen Koalition haben Ziobro bereits geraten, sich in Ungarn nicht zu sicher zu fühlen: Wenn Viktor Orbán bei den Parlamentswahlen im April die Mehrheit verlieren sollte, könnten die Karten auch in seinem Fall neu gemischt werden.
Das juristische Vorgehen der polnischen Regierung ist der bisherige Höhepunkt der »Abrechnung mit der PiS«, die sich die Koalition auf die Fahnen geschrieben hat. Einstweilen hat es mehr den Charakter eines Schaukampfes, um das eigene Publikum zufriedenzustellen. Denn ansonsten hat die Tusk-Koalition nicht viel getan, um die vielfältigen Erwartungen ihrer Anhänger auf gesellschaftspolitischen Wandel zu erfüllen. Nach dieser Seite kann die Regierung auch mit einer Ablehnung der Auslieferung Ziobros gut leben. Denn mit dem schwebenden Haftbefehl ist er als Faktor der polnischen Innenpolitik so oder anders aus dem Spiel, weil er Polen bis auf weiteres nicht mehr betreten darf.
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