Verschlepptes Verfahren in Ungarn
Von Silke Makowski
Grundsätzlich gebe es »keinen Grund, von vornherein an einem rechtsstaatlichen Strafverfahren in dem EU-Mitgliedsland zu zweifeln«. Diese Quintessenz des am Freitag veröffentlichten Kommentars der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dürfte wohl Anlass genug für das Blatt gewesen sein, sich mitten in der Prozesspause zum Verfahren der ungarischen Justiz gegen Maja T. zu äußern. Dabei gibt es reichlich Gründe für eben solche Zweifel. Seit mehr als 16 Monaten ist T. unter Bedingungen in ungarischer Untersuchungshaft, die von T.s Anwälten sowie Beobachtern als menschenunwürdig gewertet werden.
Die ursprünglich aus Jena stammende und in der JVA Dresden inhaftierte Person war am 27. Juni 2024 von deutschen Behörden rechtswidrig in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an Ungarn ausgeliefert worden. Ein entsprechender Beschluss des Bundesverfassungsgerichts interessierte die Verantwortlichen wenig. Bemühungen, Maja T. umgehend zurückholen zu lassen, liefen ins Leere. Ein mehrwöchiger Hungerstreik im Sommer 2025 konnte weder eine Verlegung in den Hausarrest noch grundlegende Verbesserungen durchsetzen.
T. wird zur Last gelegt, neben anderen Nazigegnern im Jahr 2023 am Rande des europäischen Faschistentreffs »Tag der Ehre« in Budapest an Angriffen auf mutmaßliche Neonazis mindestens indirekt beteiligt gewesen zu sein. T. drohen laut Anklage über 20 Jahre Haft. Für den ungarischen Dauerregierungschef Viktor Orbán bietet dieses Bild einer »Antifa-Terrororganisation« ein gefundenes Fressen. Im September war er dem Vorbild Donald Trumps gefolgt und hatte die Behörden angewiesen, Listen mit Terrororganisationen anzulegen. Ganz oben soll »die Antifa« stehen.
»Sie ist auch nach Ungarn gekommen, hat friedliche Menschen auf der Straße zusammengeschlagen, manche sogar halb tot, und dann sind sie als Abgeordnete ins Europäische Parlament gegangen und belehren von dort aus Ungarn über Rechtsstaatlichkeit«, ließ sich Orbán dazu zitieren. Sein Verweis auf das EU-Parlament galt der Italienierin Ilaria Salis, die nach den Protesten im Februar 2023 weit über ein Jahr unter denselben Bedingungen wie heute Maja T. in Budapest in Untersuchungshaft saß – bis sie im Sommer 2024 zur Abgeordneten im EU-Parlament gewählt wurde und dadurch freikam. Den Antrag Ungarns, ihre Immunität aufzuheben, lehnte das EU-Parlament am 7. Oktober 2025 mit knapper Mehrheit ab.
Im Fall Maja T. lehnte der Richter erneut einen Antrag auf Umwandlung der Untersuchungshaft in Hausarrest ab. Die Solidaritätsproteste für T. würden die Zugehörigkeit zur »antifaschistischen Organisation« belegen. Zudem habe der Hungerstreik gezeigt, dass Maja T. die ungarische Justiz nicht anerkenne. Dabei werden die kleinen Versammlungen an T.s Prozesstagen mit immer strengeren Auflagen belegt und von der Polizei bedrängt, die zugleich Bedrohungen und Störaktionen von mutmaßlichen Neonazis hinnimmt. Das harte Vorgehen gegen die Unterstützer wird durch das neue Versammlungsrecht ermöglicht, das Ungarn im März 2025 verschärft hatte und mit dem auch das Verbot der LGBTQ-Demonstration und weiterer der Regierung unliebsamer Aktionen begründet wurde.
Nachdem das Urteil gegen Maja T. ursprünglich für Oktober erwartet worden war, rechnen Solidaritätsgruppen nun mit einer Urteilsverkündung am 22. Januar 2026. Eine weitere Verzögerung des Verfahrens ist angesichts des anstehenden Wahlkampfs in Ungarn denkbar.
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