Belgiens Regierung wackelt
Von Gerrit Hoekman
»Ohne einen Weg zur Sanierung hat es keinen Sinn, Premierminister zu bleiben.« Dies verlautbarte der belgische Regierungschef Bart De Wever am Donnerstag im Parlament. Am Tag zuvor hatte er der sogenannten Arizonakoalition eine Frist bis Weihnachten gesetzt. Sollte dann immer noch kein Haushalt für 2026 bis 2029 abgesegnet sein, werde er beim König seinen Rücktritt einreichen. Es ist allerdings nicht die erste Deadline, die De Wever verstreichen lassen könnte.
Seit Wochen hängt in der Koalition aus fünf Parteien der Haussegen schief. Schuld ist mal wieder das liebe Geld. Beziehungsweise wofür der Staat das vorhandene ausgeben soll. De Wever von der rechten Neu-Flämischen Allianz (Nieuw-Vlaamse Alliantie, N-VA) will den Sozialetat plündern. Die sozialdemokratische, flämische Partei Vooruit schlägt hingegen vor, die Einnahmen durch eine Kapitalertragssteuer von zehn Prozent zu verbessern. Grundsätzlich führt an einer Kürzungspolitik kein Weg vorbei, da sind sich alle einig. Die EU verlangt es. »Um den europäischen Ausgabenstandard zu erfüllen, muss die Regierung 2029 ein Sparprogramm in Höhe von 9,2 Milliarden Euro und 2030 in Höhe von zehn Millionen Euro umsetzen«, beschreibt die Nachrichtenagentur Belga die Herkulesaufgabe, vor der Belgien steht.
Der Vorsitzende der rechtsliberalen, wallonischen Mouvement Réformateur (MR), Georges-Louis Bouchez, unterstützt De Wever. Er lehne allerdings die Kapitalertragssteuer ab, die De Wever wohl schlucken würde, um »Arizona« beieinanderzuhalten. Das äußerte Bouchez der Wochenzeitung Knack zufolge am Mittwoch am Rande einer Einladung zum Abendessen durch den Unternehmerverband Unizo. »Unsere Position ist klar: ein guter Haushalt, aber nicht mit zu vielen Steuern«, so Bouchez. Das bedeutet, er will nur auf der Ausgabenseite kürzen. »Ich habe vor neun Monaten einen Vertrag unterzeichnet. Ich sehe nicht, warum er heute nicht mehr eingehalten werden sollte.«
Bouchez’ Aussagen dürften den Appetit der beim Dinner versammelten Firmenchefs angeregt haben. De Wever werden sie aber auf den Magen geschlagen sein. Er muss der sozialdemokratischen Vooruit etwas anbieten. Nur auf dem Rücken der Rentner, der Werktätigen und der sozial Schwachen zu »sparen« wird mit den Sozialdemokraten nicht zu machen sein. Das linke Lager rief schon Zeter und Mordio, als feststand, dass Vooruit in eine Koalition mit vier Mitte-rechts-Parteien eintritt. Inzwischen ist der außerparlamentarische Druck auf die Partei immens. Die Gewerkschaften schäumen vor Wut, regelmäßig legen Massenstreiks das Land lahm. Aus Protest gegen den drohenden Abriss wichtiger Säulen des belgischen Sozialstaats gehen jeden Monat Hunderttausende in Brüssel auf die Straße – Rentner, Werktätige, Studenten, Arbeitslose. Die marxistische PTB/PVDA, die einzig wahre Anwältin der sozial Schwachen, wartet bereits darauf, die von den Sozialdemokraten enttäuschten Wähler einzusammeln.
Einige im Kabinett verlieren die Geduld mit dem Quertreiber Bouchez. »Ich bin wütend, ich habe diese Show satt. Wir müssen verantwortungsvoll und reif regieren«, sagte Außenminister Maxime Prévot von der Zentrumspartei Les Engagés am Freitag in der Sendung »De Ochtend« (Der Morgen). »Bouchez ist eine der Ursachen für diese Sackgasse.« Falls es einer Regierung nicht gelingt, einen Haushalt für das folgende Jahr zu verabschieden, tritt in Belgien ein Notbudget in Kraft, das »vorläufige Zwölftel«. Das bedeutet, die Regierung darf in jedem der zwölf Monate nur soviel Geld ausgeben wie in demselben Monat des Vorjahres. Das Verfahren ist schon einige Male angewendet worden, allerdings immer nur dann, wenn eine Regierung bereits gefallen war.
»Jede Woche des Wartens ist eine zu viel«, treibt De Wever die Arizona-Koalition nun zur Eile. Die heißt übrigens so, weil die fünf Parteifarben die Flagge des US-Bundesstaats ergeben. Dort liegt bekanntlich auch der Grand Canyon. Der Graben zwischen den Antipoden in der belgischen Regierung ist ähnlich breit und tief. Die Tageszeitung De Standaard nennt ihn in einem Kommentar einen »unbeirrbaren Bruchpiloten«. Eine harte Landung der Koalition ist also nicht ausgeschlossen.
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