Schlankmacher vom Badestrand
Von Gerrit Hoekman
Überraschende Nachricht aus den Niederlanden: Der Pharmakonzern Eli Lilly aus den USA will im südholländischen Badeort Katwijk eine Fabrik mit etwa 500 Arbeitsplätzen eröffnen. Das teilte das Unternehmen am Montag auf einer Pressekonferenz mit. Eli Lilly aus Indianapolis stellt Arzneien zur Behandlung von Adipositas, Diabetes und Krebs her. Mit einer Marktkapitalisierung von über 800 Milliarden US-Dollar ist es das größte Pharmaunternehmen der Welt.
Eli Lilly, oder kurz Lilly, verdankt den Erfolg in erster Linie seinen Medikamenten für die Gewichtsreduzierung, die sich äußerst gut verkaufen. Dadurch wuchs das Unternehmen in den letzten Jahren rasant. Es mutet schon seltsam an: Dieser Weltkonzern will ausgerechnet in Katwijk aan Zee ein neue Produktionsstätte bauen, die rund 2,6 Milliarden Euro kostet? Bisher war die Kleinstadt an der Nordsee vor allem für ihren Sandstrand bekannt, in Zukunft soll von hier aus ganz Europa mit Abnehmprodukten versorgt werden.
Die niederländische Regierung, die nur noch kommissarisch im Amt ist, freut sich wie einst Frau Antje, wenn sie im Werbefernsehen Käse verkaufte. Ökonomiepolitische Erfolge waren in den letzten Jahren eher rar. Kein Wunder also, dass Wirtschaftsminister Vincent Karremans und Gesundheitsminister Jan Bruijn persönlich an der Pressekonferenz teilnahmen. »Dies ist eine der größten ausländischen Investitionen seit langem«, zitierte die Wirtschaftszeitung Financieele Dagblad am Montag Karremans.
Rick Nicks, CEO des Konzerns, lobte die gut ausgebildeten Fachkräfte in den Niederlanden. Die »nachgewiesenen Kapazitäten zur Herstellung pharmazeutischer Produkte« seien ebenso ein Standortvorteil wie die »zuverlässige Infrastruktur«. Ganz in der Nähe befinden sich mit Schiphol und Rotterdam/Den Haag gleich zwei Flughäfen für Luftfracht. Ans Schienennetz ist Katwijk zwar nicht angebunden, dafür an die Autobahn A 44. Das Werk soll bis spätestens 2030 errichtet sein und bis dahin schätzungsweise 1.500 Bauarbeiter beschäftigen. Eli Lilly betreibt bereits mehrere Fertigungsstätten für seine Produktpalette in Europa – in Frankreich, Spanien, Irland und Italien.
Auf eine Zulasung seiner Antiadipositaspille durch die amerikanischen und europäischen Aufsichtsbehörden wartet der Konzern allerdings noch. Die Pille würde die lästige Abnehmspritze ersetzen. Dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ihr Hauptquartier in Amsterdam hat, ist auch ein Vorteil von Katwijk – es erspart den Lobbyisten lange Wege.
Die niederländischen Lobeshymnen auf Lilly überdecken ohnehin, dass der Konzern nicht immer sauber agiert: Ende Juli rügte das Komitee für die Überwachung von Arzneimittelwerbung in den Niederlanden den Konzern scharf wegen der Verbreitung »wissenschaftlich nicht korrekter« Informationen über sein Medikament Mounjaro (mit dem Wirkstoof Tirzepatid ein Mittel zur Behandlung von Diabetes Typ II, welches seit 2023 auch zur Gewichtsabnahme eingesetzt werden darf, jW). Das berichtete das Investigativmagazin Welingelichte Kringen unter Berufung auf Insider. Lilly behauptete gegenüber Medizinern, sein Präparat sei wirksamer als das des großen Konkurrenten Novo Nordisk aus Dänemark. Beide Unternehmen kämpfen verbissen um die Marktführung bei den Mitteln gegen Übergewicht. In den USA ermittelt der Generalstaatsanwalt von Texas in anderer Sache: Er wirft dem Konzern vor, Ärzte bezahlt zu haben, damit sie bevorzugt Medikamente aus eigenem Hause verschreiben.
Es bleibt außerdem abzuwarten, ob sich gegen den Bau der Fabrik noch Widerstand in der Bevölkerung formiert. Immerhin wird das Betriebsgelände bis zu 20 Hektar umfassen. Dafür müssen ein Bauernhof und einige Gewächshäuser weichen. Die Gemeinde Katwijk und die Umweltbehörde müssen den Genehmigungsantrag sowieso erst noch bearbeiten.
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