Volles KI-Risiko für Telekom
Von Jörg Kronauer
Nichts Geringeres als der »Grundstein für eine neue Ära der künstlichen Intelligenz (KI) in Deutschland und Europa« soll damit gelegt werden: das KI-Rechenzentrum, das die Deutsche Telekom gemeinsam mit dem US-Konzern Nvidia in München errichten will. Nvidia, seit einigen Tagen der erste Konzern der Welt mit einem Börsenwert von über fünf Billionen US-Dollar, ist gegenwärtig der bedeutendste Hersteller von KI-Chips überhaupt. Die Deutsche Telekom, ihrerseits der wertvollste Netzbetreiber Europas, will mit ihm zusammen den Einstieg in eine Branche wagen, mit der sie bisher wenig zu tun hatte, von der sie sich aber Zusatzprofite zu denjenigen aus ihrem Kerngeschäft verspricht. Rund eine Milliarde Euro will sie in ihr neues KI-Rechenzentrum investieren. Nvidia hat ihr 10.000 Halbleiter zugesagt. Beteiligt ist auch SAP. Das Unternehmen mit Sitz in Walldorf soll die nötigen Anwendungen bereitstellen, darunter moderne KI-Technologien.
Der Einstieg der Deutschen Telekom in die KI-Branche ist nicht unumstritten. Das Tempo ist hoch, die Kosten auch. Die teuren »Blackwell«-Chips, die in München eingebaut werden sollen, sind zwar die jüngste Generation unter den KI-Halbleitern von Nvidia, werden aber wohl schon im kommenden Jahr von der nächsten Generation abgelöst. Kritiker bezweifeln, dass die Telekom auf dem ungemein kostspieligen und überaus dynamischen KI-Markt auf Dauer mithalten kann. Andererseits winken nicht nur Profite, sondern auch attraktive Subventionen. Die EU will den Bau von bis zu fünf KI-Großrechenzentren mit jeweils mindestens 100.000 KI-Chips mit hohen Summen fördern. Die Kosten werden auf drei bis sechs Milliarden Euro pro Rechenzentrum geschätzt; öffentliche Zuschüsse in Höhe von bis zu 35 Prozent der Kosten sind im Gespräch. Die Deutsche Telekom hat den Bau eines KI-Großrechenzentrums in Nordrhein-Westfalen ins Auge gefasst und ist in Verhandlungen mit dem kanadischen Finanzinvestor Brookfield.
Es kommt hinzu, dass die Telekom durchaus Rückenwind aus der Politik erhält: Ohne KI-Rechenzentren wird es nichts mit der digitalen Souveränität, von der die Bundesregierung und die EU-Kommission regelmäßig schwärmen. Der Verband Bitkom sagt Deutschland für Ende 2025 KI-Kapazitäten auf einer Grundlage von 4,8 Gigawatt Stromleistung voraus, Europa von 28 Gigawatt, China von 64 Gigawatt und den USA von 95 Gigawatt. Als KI-Standort verliere Deutschland zur Zeit weiter an Bedeutung, konstatierte im September Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Besonders die USA und China eilen Deutschland und der EU immer weiter davon.
Dabei müssen US-Konzerne mittlerweile schon expandieren. Der vielleicht bedeutendste Grund: Ihnen fehlen in den Vereinigten Staaten die gewaltigen Mengen an Energie, die KI-Rechenzentren verschlingen. Längst setzen Konzerne wie Microsoft darauf, ausgemusterte Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen oder neue Reaktoren zu bauen, um ihren Strombedarf zu decken. Sogar damit gelingt es ihnen aber nicht, ihren rasant zunehmenden Verbrauch zu bedienen. In den Vereinigten Staaten steigen deshalb inzwischen schon die Stromkosten für Privathaushalte. Microsoft-Chef Satya Nadella räumte vor wenigen Tagen ein, »das größte Problem«, das die Branche gegenwärtig habe, sei Energiemangel: Auch Microsoft habe derzeit »eine Menge Chips auf Lager«, könne sie aber »nicht anschließen«, weil nicht ausreichend Strom erhältlich sei.
Nicht zuletzt deshalb hat US-Präsident Donald Trump auf seiner Nahostreise im Mai Vereinbarungen zum Bau von KI-Rechenzentren auf der Arabischen Halbinsel geschlossen. Microsoft kündigte am Montag Investitionen in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2029 in den Vereinigten Arabischen Emiraten an. Dies sei »entscheidend«, um die KI-Nachfrage im Mittleren Osten zu bedienen, hieß es. Allerdings lässt sich der Energiehunger der KI-Branche auf der Arabischen Halbinsel erheblich leichter decken als in den USA. Microsoft sichert sich mit seinen Investitionen nicht bloß eine starke Stellung in Nahost, sondern auch auf dem boomenden Weltmarkt der KI, den die USA auch aufgrund fehlender Energie nicht alleine bedienen können.
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