Chiphersteller gekapert
Von Gerrit Hoekman
Es ist gerade viel los in der Weltpolitik. Auch an einem Nebenschauplatz wie dem niederländischen Nijmegen. Die Stadt in der Provinz Gelderland beherbergt den Chiphersteller Nexperia, der seit 2019 zum chinesischen Konzern Wingtech gehört, aber ein selbstständiger niederländischer Betrieb ist. Das bis jetzt untadelige Unternehmen sorgt plötzlich für erheblichen Missmut in China, weil die niederländische Handelskammer den aus China stammenden CEO Zhang Xuezheng seines Amtes enthebt. Auf Geheiß des Wirtschaftsministeriums in Den Haag.
Das niederländische Wirtschaftsministerium beruft sich auf ein Notstandsgesetz aus dem Jahr 1952, das bis jetzt noch nie angewendet wurde. Das bedeutet: Fast alle Aktien, die der Mutterkonzern Wingtech an Nexperia hält, kommen vorübergehend in die Hände eines noch zu bestimmenden Treuhänders. Damit kann der Staat Entscheidungen des Unternehmens blockieren und missliebige Geschäfte verhindern. Es solle verhindert werden, dass technisches Wissen aus den Niederlanden ins Ausland sickere. »Der Verlust würde ein Risiko für die niederländische und europäische Wirtschaftssicherheit darstellen.« Es gebe »Hinweise auf schwerwiegende Verwaltungsmängel und -maßnahmen«. Die nichtchinesischen Mitglieder des Managements, zwei Deutsche und ein Niederländer, haben die Entscheidung der Regierung sogar mittels einer Beschwerde bei der Handelskammer in die Wege geleitet.
Jedenfalls herrscht seit dem Wochenende dicke Luft. Die Mutter Wingtech spricht im Internet von Diskriminierung und einem »Akt übermäßiger Einmischung, der durch geopolitische Voreingenommenheit motiviert« sei. Die Wingtech-Aktie verlor am Montag an der Börse in Shanghai zehn Prozent an Wert. »Wir wurden am helllichten Tag von einem kleinen Land ausgeraubt«, schrieb ein chinesischer Meinungsführer aus dem Finanzsektor laut der Tageszeitung De Volkskrant am Montag in den sozialen Netzwerken. »Es ist nicht auszuschließen, dass es sich um einen gezielten amerikanischen Versuch handelt: eine neue Runde im geopolitischen Machtspiel.« Die chinesische Regierung hat sich bis jetzt offiziell nicht geäußert.
Tatsächlich stehen die Niederlande im Handelskrieg zwischen China und den USA fast schon hörig auf der Seite der Amerikaner. Nicht zum ersten Mal: ASML, der niederländische Marktführer auf dem Gebiet der Herstellung von hochmodernen Chipautomaten, darf seit einigen Jahren auf Geheiß der Regierung keine dieser konkurrenzlosen Maschinen nach China exportieren. Bei ASML ist es kein Geheimnis, dass Den Haag mit dem Verbot einer Direktive aus den USA nachkam.
Auch jetzt dürfte sich das Weiße Haus über den Schritt der Niederlande freuen. Der Mutterkonzern Wingtech steht in den USA auf der sogenannten Entity List. Das heißt, wer mit den dort aufgeführten Unternehmen Handel treiben möchte, benötigt eine ausdrückliche Erlaubnis. Seit kurzem gilt das auch für den Handel mit ausländischen Tochterunternehmen der in der Liste aufgeführten Konzerne, also auch für Nexperia, das seitdem schwerer an Ersatzteile oder Software kommt.
Die niederländischen Chiphersteller wie ASML oder Besi sehen besorgt auf die neuen Spannungen mit China. Vor kurzem hat China neue Handelsbeschränkungen für kritische Erdmetalle (seltene Erden) angekündigt, die von der Chipbranche dringend benötigt werden. Solche Geschäfte müssten dann von der chinesischen Regierung erlaubt werden. Ist ja nicht so, als hätte China kein Gegenmittel.
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