Arbeiter oder Soldat?
Von Kristian Stemmler
Die CDU übt sich im peniblen Aussortieren von Menschen. »Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland, und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen«, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz am Montag in Husum über Syrerinnen und Syrer. Diese sollen die BRD verlassen und »am Wiederaufbau teilnehmen«. Ebenfalls »nicht richtig« sei es, wenn Ukrainer noch länger hierzulande leben. Sie sollten statt dessen als Soldaten »ihr Land« mit der Waffe in der Hand verteidigen, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann am Freitag dem Magazin Stern. Auf die Arbeitskraft dieser Menschen sind Unternehmen in Deutschland nach Jahren der sogenannten Integration in den Arbeitsmarkt allerdings dringend angewiesen.
Von den zwischen Februar und Mai 2022 in die BRD geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern ist mittlerweile mehr als die Hälfte erwerbstätig. Das hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) mit Sitz in Wiesbaden in einer Studie zur Lebenssituation ukrainischer Geflüchteter herausgefunden, deren Ergebnisse am Dienstag bei einer Pressekonferenz vorgestellt wurden.
Bei den zwischen Februar und Mai 2022 angekommenen Ukrainern im Alter zwischen 20 und 64 Jahren lag demnach die Quote im Frühsommer 2025 bei 51 Prozent. 50 Prozent der Frauen aus dieser Personengruppe und 57 Prozent der Männer haben einen Job. Das Institut, das die Bundesregierung in Bevölkerungsfragen berät, hat in den vergangenen drei Jahren immer dieselben Menschen in halbjährlichen Abständen zu ihrer Lebenssituation befragt. Die letzte der inzwischen sechs Befragungen, an der sich über 6.000 beteiligten, fand zwischen Mai und August 2025 statt.
BiB-Direktorin Katharina Spieß verwies darauf, dass Deutschland für ukrainische Geflüchtete mittlerweile »das wichtigste Zielland« geworden sei. Mit über 1,2 Millionen Schutzsuchenden sind sie in der BRD die zweitgrößte Migrantengruppe nach der Gruppe der Türkinnen und Türken. Die Quote an Erwerbstätigen habe sich von 16 Prozent im Spätsommer 2022 bis zum Frühsommer 2025 mehr als verdreifacht, betonte Studienleiter Andreas Ette. Gute Deutschkenntnisse und soziale Kontakte seien »der Schlüssel zur Integration«, betonte Ette.
Aus der Studie geht auch hervor, dass »Familienprozesse« ein zentraler Faktor für Integration und Bleibeabsichten sind. Bei vielen der zunächst allein oder mit ihren Kindern geflüchteten Frauen seien zwischenzeitlich ihre Partner nach Deutschland nachgekommen. Diese Familienzusammenführung verschiebt den Lebensmittelpunkt nach Deutschland. Fast die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen verfügt nach eigenen Angaben über gute bis sehr gute Deutschkenntnisse, deutlich mehr als bei der Gruppe ihrer Eltern. Zugleich berichten sie über ein »vergleichsweise niedriges Schulzugehörigkeitsgefühl« und höhere »sozioemotionale Belastungen« als ihre vergleichbaren Altersgruppen.
Unterdessen steigt die Zahl der Ukrainer, die nach Deutschland kommen, wieder an, vor allem die von jungen Männern. Laut kürzlich vom Bundesinnenministerium vorgelegten Zahlen kommen derzeit pro Woche zwischen 1.400 und 1.800 junge Ukrainer in die BRD. Seit 2022 durften ukrainische Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nur mit einer behördlichen Erlaubnis verlassen, damit sie sich nicht der Zwangsrekrutierung entziehen. Ende August lockerte die ukrainische Regierung diese Regelung. Männer zwischen 18 und 22 Jahren dürfen seither wieder ausreisen.
Im Gegensatz zu Geflüchteten aus anderen Kriegsgebieten wurde Betroffenen aus der Ukraine nach Beginn des Kriegs im Februar 2022 in Deutschland sofort ein Schutzstatus zugesprochen, sie erhielten umgehend Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungseinrichtungen. Hilfreich bei der Arbeitssuche war vermutlich auch, dass die ukrainischen Geflüchteten der Untersuchung zufolge im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung in ihrer Heimat ein hohes Qualifikationsniveau haben. Sie würden daher »angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftebedarfs« eine wichtige »Ressource für den Arbeitsmarkt« darstellen, konstatieren die BiB-Forscher.
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