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Aus: Ausgabe vom 04.11.2025, Seite 2 / Ausland
»Budapest-Komplex«

Bemüht sich die Regierung, Maja T. zurückzuholen?

Ungarn: Nach Haftkrankenhaus bleibt Nazigegnerin isoliert. Gericht will Prozess schnell abwickeln, befürchtet Sven Richwin
Von Silke Makowski
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Illegal an Ungarn ausgeliefert: Maja T. vor Gericht in Budapest (8.10.2025)

Im Zuge der Strafverfolgung wegen Angriffen auf mutmaßliche Neonazis in Budapest 2023 wird auch Maja T. der Prozess gemacht. T. war im Sommer gegen die Haftbedingungen in Ungarn in einen mehrwöchigen Hungerstreik getreten. Wie ist die Haftsituation aktuell?

Nach der Entlassung aus dem Haftkrankenhaus ist Maja leider wieder in die alten Umstände der isolierten Haft zurückgebracht worden. Allerdings lag auch bei dem Haftkrankenhaus der Schwerpunkt auf Haft, nicht auf Krankenhaus. Der Hungerstreik ist auch nicht spurlos an Maja vorbeigegangen.

Wie lauten die zentralen Vorwürfe gegen Maja T. in diesem »Budapest-Komplex«-Verfahren?

Maja wird vorgeworfen, zusammen mit anderen im Februar 2023 an vier Angriffen auf mutmaßliche Teilnehmer des rechtsextremen Aufmarsches zum sogenannten Tag der Ehre in Budapest teilgenommen zu haben. Dabei handelt es sich um ein alljährlich stattfindendes Gedenken des Ausbruchsversuches von SS-Einheiten aus Budapest in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Dies ist das mittlerweile größte europaweite Treffen von Neonazis. Maja soll dabei vor allem unterstützend als Teil einer angeblichen kriminellen Vereinigung tätig gewesen sein. Trotz zahlreicher Aufnahmen gibt es keine Hinweise, dass Maja selbst gewalttätig agierte.

Die deutschen Behörden haben T. im Juni 2024 in einer rechtswidrigen Aktion aus der JVA Dresden heraus an Ungarn ausgeliefert. Gibt es Bemühungen der Bundesregierung, Maja T. zurückzuholen, wie es das Bundesverfassungsgericht unmittelbar angeordnet hatte?

Aus den Reihen der deutschen Behörden bis hoch zu Außenminister Johann Wadephul persönlich gibt es durchaus glaubhafte Mitteilungen über entsprechende Bemühungen bei den ungarischen Stellen. Gleichwohl gibt es bisher nicht einmal spürbare Verbesserungen der Haftbedingungen. Maja passt als linke nonbinäre Person einfach zu gut in das Feindbild von Victor Orbáns (ungarischer Ministerpräsident, jW) Propaganda gegen ein vermeintlich dekadentes liberales Europa, als dessen Platzhalter »die Antifa« bemüht wird. Bereits am Flughafen grüßen großformatige Werbebilder eines »familienfreundlichen Ungarn« mit Bildern blonder weißer Familien, was wohl durchaus als Statement gegen queere oder andere Rollenbilder verstanden werden soll. Orbán steht aufgrund der bevorstehenden Wahl in Ungarn unter Druck und braucht Feindbilder mehr denn je, um die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren.

In der zurückliegenden Verhandlung beklagte sich die Staatsanwaltschaft ausführlich darüber, dass aus Italien, Frankreich und inzwischen auch aus Deutschland aufgrund der Zweifel an einem rechtsstaatlichen Verfahren keine weiteren Verdächtigen mehr nach Ungarn ausgeliefert werden. Zähneknirschend wurde auch zur Kenntnis genommen, dass das EU-Parlament die Immunität der Mitangeklagten Ilaria Salis nicht aufgehoben hat.

Der Prozess gegen Maja T. hat sich noch einmal überraschend verlängert. Wie kam es dazu, und wie ist der weitere Zeitplan?

Ursprünglich sollte der Prozess nach elf Verhandlungstagen im Oktober enden. Auf Antrag der Verteidigung soll jetzt jedoch ein neues medizinisches Gutachten eingeholt werden. Das bisher vorliegende ist – vorsichtig ausgedrückt – ziemlich oberflächlich. So wurden bei den Geschädigten Verletzungsfolgen prognostiziert, ohne festzulegen, wo sie überhaupt konkret verletzt wurden. Außerdem gab es widersprüchliche Angaben von Augenzeugen, die eine erneute Befragung aufdrängten. Der Richter selbst erweckt allerdings eher den Anschein, den Prozess möglichst schnell abwickeln zu wollen.

Ende September hatte das Oberlandesgericht München die ebenfalls im »Budapest-Komplex« beschuldigte Antifaschistin Hanna S. zu fünf Jahren Haft verurteilt. Welche Auswirkungen hat das auf den Prozess in Ungarn?

Ähnlich wie bei Hanna ist auch der Prozess gegen Maja letztlich ein reiner Indizienprozess. In weiten Teilen wird lediglich aus der Ermittlungsakte vorgetragen, ohne die vermeintlichen Ermittlungsergebnisse zu hinterfragen. Für den Richter scheint das Ergebnis längst festzustehen. Eine Verurteilung in einem deutschen Parallelverfahren kommt da als Legitimation sehr gelegen.

Sven Richwin ist Anwalt in Berlin und gehört zum Verteidigerteam der in Ungarn inhaftierten antifaschistisch engagierten Person Maja T.

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