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Aus: Ausgabe vom 01.11.2025, Seite 4 / Inland
Mögliche Absprachen mit Israel

»Nur Hilfsgüter und Helme«

Bericht: BRD-Vertreter könnten sich vor ihrer Aussage vor dem IGH mit Israel abgesprochen haben
Von Kristian Stemmler
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120-Millimeter-Panzermunition wird im Rheinmetall-Werk in Unterlüß hergestellt (6.6.2023)

Die Lieferung von Waffen an Israel ist für die deutsche Regierung ein heikles Thema, werden diese doch in Gaza gegen die palästinensische Bevölkerung eingesetzt. Offenbar Grund genug, das wahre Ausmaß der Lieferungen zu verschweigen: Am Freitag berichtete der Stern, dass die Bundesregierung in einem Verfahren wegen »Beihilfe zum Völkermord« vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ihre Aussage mit Israel abgesprochen hat. Demnach habe sie unvollständige Angaben zum Export von Rüstungsgütern an das Land im Jahr 2023 gemacht. Dies gehe aus Dokumenten aus dem Verteidigungsministerium hervor, die dem Magazin vorliegen. Die Herausgabe der Dokumente wurde durch einen presserechtlichen Antrag beim Verwaltungsgericht Köln erreicht.

Das Verfahren vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen hatte Nicaragua im März 2024 angestrengt. Der mittelamerikanische Staat warf der BRD vor, sie trage durch Lieferung von Waffen und anderer militärischer Ausrüstung sowie durch die Aussetzung der Finanzierung des UNRWA-Hilfswerks »aktiv zur Begehung von Völkermord in Gaza bei«. Das Verfahren dauert noch an, da der IGH der BRD bis zum 21. Juli 2026 Zeit gegeben hat, auf eine Klageschrift Nicaraguas zu antworten.

Bei der Anhörung der Verfahrensbeteiligten im April 2024 hatte ein Vertreter Nicaraguas der Bundesregierung vorgeworfen, auf Anforderung Israels 10.000 Schuss 120-Millimeter-Munition an das Land geliefert zu haben. Die deutsche Vertreterin bejahte zwar die Anfrage Israels, gab aber auch an, für den Export dieser Munition sei keine Genehmigung erteilt worden. Und weiter: »Die einzigen Gegenstände, die die deutsche Bundeswehr an Israel liefert, sind medizinische Hilfsgüter und Helme.« Daraus lasse sich folgern, heißt es im Stern, dass die Bundeswehr 2023 keine Waffen oder Munition aus Bundeswehr-Beständen an Israel geliefert hat.

Die Dokumente, die dem Stern und dem Nachrichtenportal Drop Site vorliegen, lassen nun Zweifel an der Vollständigkeit dieser Darstellung aufkommen. Demnach hat die Bundesregierung zumindest in Teilen mit der israelischen Regierung abgesprochen, was sie im Verfahren offenlegt. So gehe aus einer Stellungnahme des Verteidigungsministeriums an das Verwaltungsgericht Köln vom 29. Januar 2025 hervor, dass die Bundesregierung ihre Angaben vor dem IGH »im Einvernehmen mit dem betroffenen Staat« beschlossen hat. Das heißt: Möglicherweise sind im Jahr 2023 eben nicht nur »medizinische Hilfsgüter und Helme«, sondern auch tödliche Waffen an Israel geliefert worden.

Für Lea Reisner, Sprecherin für internationale Beziehungen der Linke-Bundestagsfraktion, ist das keine Überraschung. »Die Bundesregierung belügt seit vielen Monaten die Öffentlichkeit über das Ausmaß deutscher Waffenlieferungen an Israel – und jetzt offenbar auch den Internationalen Gerichtshof«, erklärte sie am Freitag gegenüber jW. Das sei kein diplomatischer Fehltritt, sondern »ein gezielter Versuch, Verantwortung für einen Genozid zu verschleiern, an dem Deutschland längst mitschuldig ist«. Reisner: »Diese Regierung bricht nicht nur das Völkerrecht, sie verspottet es.«

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