Stillstand schönreden
Von Klaus Fischer
Die Wirtschaft im Euro-Raum kommt kaum voran. Trotz hoffnungsvoller Prognosen, die von einem Wachstum zwischen einem und 1,5 Prozent ausgingen, ist die Lage prekär. Das bestätigten die zuletzt gemeldeten offiziellen Zahlen. So teilte Eurostat am Donnerstag mit, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen Juli und September um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zugelegt habe. Letzteres hatte mit einem Plus von 0,1 Prozent abgeschnitten. Die mit Abstand größte Volkswirtschaft der Euro-Zone schafft nicht einmal diesen Minizuwachs, sondern tritt auf der Stelle. Diagnose: Aus der Konjunkturlokomotive Deutschland ist ein Bremsklotz geworden.
Nahezu alle Mainstreammedien nannten die neuen Zahlen »überraschend«. Verständlich, wenn der Zuwachs doppelt so hoch ausfällt wie zuvor erwartet, ist Feiern angesagt. Allerdings scheint dies weniger auf Zuversicht, sondern eher auf zunehmende Verzweiflung zu deuten. Zumal »Wachstum« im Zehntelprozentbereich durchaus mit dem spitzen Bleistift der Statistiker »generiert« werden kann.
Die Schönschreiberei der miesen Zahlen ist inzwischen Standard. So gelten Spanien und das krisengeschüttelte Frankreich mit einem BIP-Plus von 0,8 bzw. 0,5 Prozent im dritten Quartal als »Zugpferde« des Währungsgebiets. Die gesamte EU steht nicht besser da. Hier stieg die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent, nach 0,2 Prozent im Vorquartal. Das stärkste Wachstum verzeichneten Portugal (0,8 Prozent) und Tschechien (0,7 Prozent).
Bei solchen Zahlen hoffen fast alle professionellen Beobachter auf das nächste Vierteljahr – und natürlich auf das kommende –, wo sie dann nach unten korrigiert werden. Wie stets, seit der Supertanker EU 2022 auf ein wirtschaftspolitisches Riff gelenkt wurde. Allerdings hat sich die Ausgangslage für eine Erholung seit Beginn des Wirtschaftskrieges gegen Russland eher verschlechtert. Davon zeugen nicht nur das vorläufig letzte Sanktionspaket und das völlige Verbot für den Import russischen Erdgases.
Die Nullprozentwirtschaft der BRD dümpelt indes richtungslos vor sich hin. Manager operieren zwischen politischer Lyrik, Staatsanbiederung, Stellenvernichtung und Kapitalflucht. Lobbyisten versuchen, das ungelöste Energieproblem mit faulen Kompromissen zu lösen (Verschiebung des »Verbrennerverbots«), und Gewerkschaften bestehen auf konsequentem Klimaschutz, plädieren für subventionierte Elektroautos und stemmen sich gegen Jobvernichtung. Eine Illusion.
Kein Wunder, wenn vor allem Mittelstand und kleine Unternehmen besorgt auf EU- und US-Politik blicken. Dort werden die Weichen gestellt – und Berlin führt aus. In Brüssel agiert die EU-Kommission indes, als gebe es kein Morgen. Neben der Flut weiterer Vorschriften, Richtlinien und Sanktionen gegen Personen und Völkerrechtssubjekte (von Kapitalfunktionären gern als überbordende Bürokratie verharmlost) schafft es die Megabehörde, die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Wirtschaft konsequent zu verschlechtern. Wenn der Staat vom Interessenvertreter des Kapitals zum Vertreter der eigenen Illusionen und Parteiinteressen mutiert, werden zwangsläufig die Produktivkräfte gehemmt.
Die Folgen sind seit Jahren sichtbar. Es beginnt mit Wachstumsschwäche und Rezession. Die Verwertungsbedingungen des Kapitals (das dank dominierender Konstrukte wie Blackrock längst internationalisiert ist) verschlechtern sich. Investitionen werden umgelenkt, fließen dorthin, wo die Profite auch in kommenden Jahren erwartbar sind. Die EU-Größen Deutschland, Frankreich und Italien sind nur noch interessant, wenn die verschuldeten Staaten Garantien bieten.
Dazu passt ein Reuters-Bericht vom Freitag: »Unternehmen in Deutschland fällt es angesichts schwieriger Rahmenbedingungen immer schwerer, die eigene Geschäftsentwicklung vorherzusagen«, schreibt die Nachrichtenagentur in einem Bericht, der auf einer aktuellen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts basiert. Im Oktober traf dies auf 77,8 Prozent der Firmen zu. »Die Antworten gelten als Indikator für wirtschaftliche Unsicherheit und liegen derzeit auf dem zweithöchsten Stand seit der Coronapandemie«, so die Agentur weiter.
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