In der Zwickmühle
Von Daniel Bratanovic
Die deutsche Sozialdemokratie verteilt von allem ein bisschen und also überall zuwenig. In den Reihen der SPD scheint man zu glauben oder gibt zumindest vor zu glauben, dass Aufrüstung und Kriegsertüchtigung der Bundeswehr ohne Abbau und Kahlschlag des Sozialstaats zu haben seien. Nicht Kanonen statt, sondern Kanonen und Butter lautet die unausgesprochene Devise im Willy-Brandt-Haus. Ein soziales, klassenversöhntes Deutschland, das von Waffen starrt: ein sozialdemokratischer Traum. Der Herr gibt’s den Seinen im Schlaf.
Dazu gehört aber, so viel Gerechtigkeitssinn demonstriert die SPD immerhin, dass unten nicht zu hart gestrichen werden darf und oben ein klein wenig genommen werden sollte. Von der Parteibasis geht eine Initiative gegen die zwischen Unions- und SPD-Fraktion vereinbarte Bürgergeldreform aus, die vorsieht, dem Erwerbslosen auch noch das allerletzte Almosen zu nehmen, wenn er sich dem Diktat der Arbeitsagentur nicht vollständig unterwirft; Jusos und selbst der als konservativ ausgewiesene Seeheimer Kreis bringen eine Reichenbesteuerung ins Spiel. Der Jugendverband spricht gar von »konsequentem Klassenkampf«. Klingt schmissig, bleibt folgenlos.
Die SPD steckt in einer misslichen Lage. Eine weitere »Agenda 2010« wäre ihr Untergang. Seit Schröders Sozialkahlschlagsprogramm ab 2003 haben die Sozialdemokraten landesweit gut zehn Millionen Wähler verloren, geblieben sind bei der jüngsten Bundestagswahl gerade einmal acht Millionen Stimmen. Aus Gründen des Selbsterhalts muss die SPD also daran erinnern, welche Klientel sie zu vertreten mal behauptet hat.
Nach Maßgabe des hiesigen Kapitals ist selbst das zuviel. Verluste der Wettbewerbsfähigkeit seiner Produkte auf dem Weltmarkt machen aus solcher Sicht Mittel der sozialen Befriedung, die der Staat um der gesellschaftlichen Stabilität willen ergreift, zum schädlichen Beiwerk. Die Staatspartei SPD könnte am Widerspruch, das antagonistische Verhältnis von Arbeit und Kapital immer wieder aufs neue zu versöhnen, endgültig zerrieben werden.
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Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (30. Oktober 2025 um 11:01 Uhr)Mit Schröders Agenda hat diese traditionsreiche Partei der arbeitenden Klasse einige Federn gelassen. Mehr aber nicht. Sollten wir nicht eher daran zweifeln und nicht ernsthaft glauben, diese »Staatspartei SPD« könne untergehen und zerrieben werden, wenn sie sich weiter von ihrer Klientel entfernt? Eine SPD unserer Tage, ihre Parteifunktionäre, die heute das Wort Gerechtigkeit in den Mund nehmen, wie können sie selbst daran glauben? Es bleibt der pure Hohn und Spott, mit dem sie ihre Mitglieder und Anhänger überschütten, sie verdummen, hoffen und träumen lassen. Warum gelingt es ihnen seit vielen Jahrzehnten und im Grunde genommen bereits über zwei Weltkriege hinweg? Warum gelingt es einer angeblichen Arbeiterpartei, Partei der sogenannten kleinen Leute, auch heute noch so viele Menschen an sich zu binden, trotz aller hinreichend gesicherten Erfahrungen mit einer SPD, die weder sozial, demokratisch oder glaubhaft ein Hüter der Gerechtigkeit ist? Moralisch, ethisch oder juristisch ist es von vornherein gelogen, gerecht sein zu wollen. Gerecht für wen, gegen wen, möchte man in Anlehnung an Lenin fragen. Die Antwort lässt das Lügengebäude sofort zusammenbrechen bei ein wenig Überlegung. Eine Partei, die den sozialen Konflikt, den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr kennen will oder gar nicht mehr ökonomisch versteht, für die kann Gerechtigkeit nicht mehr und nicht weniger als Interessenpolitik nach der Macht, Besitz und Herrschaft. Die Gerechtigkeit löst sich auf in Wohltätigkeit, Almosenpolitik, Entsolidarisierung, Leugnung der Ausbeutung und Diffamierung der eigenen Klientel, der Ärmsten im Lande.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. Oktober 2025 um 10:58 Uhr)Was also tun, um die eigene Partei-Haut vielleicht doch noch zu retten und nicht wegen fortgesetzter zunehmender Unglaubwürdigkeit schließlich im Orkus der Geschichte endgültig zu versinken und somit mal wieder dieses Land und dessen Zukunft den Faschisten kampflos zu überlassen?
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (29. Oktober 2025 um 07:19 Uhr)Dass dieser Zombie, diese Verräterpartei, die den 1. Weltkrieg ermöglichte, gleich nach diesem ihren eigenen Leuten buchstäblich in den Rücken schießen ließ, indirekt die Nazis an die Macht brachte, unter dem weit überschätzten Brand Berufsverbote gegen die eigenen Leute verhängen ließ, unter Schröder sie dem Kapital schutzlos auslieferte, ebenfalls unter diesem den ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Deutschlands nach WWII führte und mit all dem Abermillionen vor allem ihrer vorgeblich vertretenen Leute in Armut, Elend und Tod schickte, dass diese Verräter als Partei im Jahr 2025 überhaupt immer noch existieren, sagt nicht nur über die systemvernutteten Funktionäre, sondern vor allem auch über ihre vergangenen und aktuellen Wähler:innen eine Menge aus.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (29. Oktober 2025 um 16:37 Uhr)Bei aller grundsätzlichen Kritik sollten wir uns trotzdem den Respekt vor den immer auch vorhandenen wirklichen Sozialdemokraten bewahren. Da ist manch einer mehr Bündnisgenosse, als wir gemeinhin vermuten. Wir sollten uns hüten, auch die vor den Kopf zu stoßen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (29. Oktober 2025 um 19:06 Uhr)Die »wirklichen Sozialdemokraten« sind seit Kautsky immer wieder gut zu erkennen. Viele davon sitzen in ihren wohlbestallten Elfenbeintürmen und denken über das Gute in diesen Zeiten nach. Niemand hat diese »Bündnisgenossen« besser dargestellt als Rosa Luxemburg. Natürlich ist es ehrenwert, wenn ein Klaus von Dohnanyi sich eine Rückkehr zur Diplomatie wünscht und das Kriegsgeheul seiner Genossinnen und Genossen verabscheut. Es gibt immerhin eine Parallele zum 4. August 1914 (Abstimmung über die Kriegskredite) und der »Zeitenwende«, die ihre Wirkungen beim einfachen Volk und den Börsen hinlänglich unter Beweis stellt. Der Einschätzung Rosa Luxemburgs ist meines Erachtens aktuell nichts hinzuzufügen: »Die sozialdemokratischen Parlamentarier und Parteiführer endlich, die nicht bloß Geldmittel für die Kriegführung bewilligen, sondern jede beunruhigende Regung des Zweifels und der Kritik, alle ›Quertreibereien‹ in den Volksmassen schneidig zu ersticken suchen, ihrerseits aber durch persönliche Dienste diskreter Natur wie durch Broschüren, Reden und Artikel von echtestem deutsch-nationalem Patriotismus die Regierung unterstützen - wo war ein Krieg in der Weltgeschichte, in dem Ähnliches geschah?« (»Der Wiederaufbau der Internationale«, Gesammelte Werke Bd.4, Dietz 1979, S.23) Imperialismus und Kriegstreiberei gehören zusammen. Jeglicher Versuch ihn zu demokratisieren, »ihn friedlich machen« ist nach Rosa so absurd, wie dem »Tiger die Krallen zu beschneiden und ihm einzureden, dass er sich im eigenen Interesse ›am besten‹ von Honig und Gemüsen ernähren soll.« (ebd.) Sie vollendet diesen Gedankengang damit, dass in einer großen weltgeschichtlichen Katastrophe das »Liedlein« vom »Nationalstaat«, vom »Freihandel« und von »demokratischer Entwicklung« gesungen wird, um das Proletariat von den wirklichen Ursachen der Kriege abzubringen. Diese konkret zu benennen, wäre ja wohl auch der kleinste gemeinsame Nenner für das Schmieden von Bündnissen.
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