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Aus: Ausgabe vom 28.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Überwachung der GIUK-Lücke

Feindmarkierung im Nordatlantik

Zur Kontrolle von Seewegen nach Russland: Minister Boris Pistorius schmiedet Pakt mit Anrainerstaaten
Von Jörg Kronauer
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Zwei Krieger im Sinne von Uncle Sam: John Healey, britischer Kriegsminister, und Amtskollege Boris Pistorius (r.)

Die Ankündigung, die der britische Verteidigungsminister John Healey beim Besuch seines deutschen Amtskollegen Boris Pistorius am Donnerstag machte, war klar und deutlich: »Künftig werden britische und deutsche Mannschaften gemeinsam russische U-Boote jagen.« Beide waren auf dem Militärstützpunkt Lossiemouth nordöstlich der schottischen Stadt Inverness eingetroffen, auf dem die britischen Streitkräfte Seefernaufklärer des Typs P-8A »Poseidon« stationiert haben. Deren Aufgabe ist es, das nördlich angrenzende Seegebiet zu kontrollieren. Die Flugzeuge sind darauf spezialisiert, U-Boote aufzuspüren und zu bekämpfen. Künftig sollen in Lossiemouth zwar nicht dauerhaft, aber doch häufig auch deutsche Seefernaufklärer desselben Typs stationiert werden, um sich an der Überwachung der nördlichsten Regionen des Atlantiks zu beteiligen. Beschlossen haben das die Regierungen Deutschlands und Großbritanniens in ihrer »Trinity House«-Vereinbarung vom 23. Oktober 2024. Schon bald soll der Plan praktisch realisiert werden.

Von dem Seegebiet, das die Bundeswehr und die britischen Streitkräfte da gemeinsam überwachen wollen, wird man künftig wohl noch öfter hören. Es handelt sich um die GIUK-Lücke – die Gewässer zwischen Grönland (G) und Island (I) bzw. Island und dem Vereinigten Königreich (UK). Das sind die Gewässer, die russische Kriegsschiffe und vor allem auch U-Boote durchqueren müssen, wenn sie aus ihren Marinebasen auf der Halbinsel Kola durch die Barentssee und das Europäische Nordmeer in den Nordatlantik einfahren sollen. Dort hätten sie im Kriegsfall die Möglichkeit, die maritimen Nachschubrouten aus Nordamerika nach Europa zu attackieren. Dies zu verhindern, das war bereits im Kalten Krieg ein wichtiges Ziel der NATO, und es ist inzwischen wieder zu einem solchen geworden. Die deutsche Marine hat sich im Machtkampf gegen Russland bislang vor allem auf die Ost- und die Nordsee konzentriert. Sie beginnt nun, die GIUK-Lücke zu einem weiteren Schwerpunktgebiet ihrer Operationen zu machen.

Das Vorhaben war ein Schwerpunkt der Reise, die Pistorius vom 19. bis zum 23. Oktober zuerst nach Island, dann nach Kanada und schließlich nach Großbritannien führte. Ging es im Vereinigten Königreich insbesondere um die künftige Militärkooperation auf dem Stützpunkt Lossiemouth, von dem sich der Teil der GIUK-Lücke östlich von Island gut kontrollieren lässt, so hatte Pistorius bei seinen Gesprächen am 19. Oktober in Reykjavík die Stationierung deutscher Seefernaufklärer P-8A »Poseidon« in Keflavík ganz in Islands Westen im Blick. Sie ist ebenfalls nicht dauerhaft, sondern nur zeitweise geplant – aber immerhin. Von Keflavík aus lässt sich der Teil der GIUK-Lücke westlich von Island leicht überwachen. Island selbst hat keine Streitkräfte, kann sich also nicht selbst an den Flügen beteiligen. Es stellt aber seine Küstenwache für Kontrollaufgaben bereit, und es hat zugesagt, seine militärisch nutzbare Infrastruktur auszubauen: von seinen Häfen bis zu seinen vier in die NATO-Luftverteidigung integrierten Radaranlagen.

Kanada, Pistorius’ zweite Reisestation nach Island, liegt nicht an der GIUK-Lücke, arbeitet aber anderweitig auf militärischer Ebene recht eng mit Deutschland zusammen, deutlich über die allgemeine Kooperation im NATO-Rahmen hinaus. Stationiert die Bundesrepublik eine Brigade in Litauen, so ist Kanada mit Truppen in Lettland präsent, Großbritannien in Estland. Im sogenannten Drei-plus-drei-Format stimmen sich alle sechs Staaten intensiv über ihre Aktivitäten im Baltikum ab. Die deutsche Marine beginnt ihre Fühler zudem nicht bloß zur GIUK-Lücke, sondern noch weiter in Richtung Westen auszudehnen – bis zur Ostküste Nordamerikas. Dort, vor der kanadischen Küste, nahm im August mit dem Einsatzgruppenversorger Berlin zum ersten Mal ein deutsches Kriegsschiff an Kanadas jedes Jahr durchgeführtem Marinemanöver »Nanook-Tuugaalik« teil. Die Versorgungslinien der Bundesrepublik begännen schließlich in Nordamerika, erläuterte Fregattenkapitän Karsten Uwe Schlüter im Gespräch mit der Plattform Table Media.

Und das ist nicht alles. Auf dem Washingtoner NATO-Gipfel im Juli vergangenen Jahres hatten sich Deutschland, Kanada und Norwegen geeinigt, eine »Sicherheitspartnerschaft für den Nordatlantik« aufzubauen. Pistorius traf am Montag vergangener Woche in Ottawa zum Dreiergespräch mit seinem kanadischen und seinem ebenfalls angereisten norwegischen Amtskollegen zusammen. Mit Norwegen, an dessen Küsten russische Schiffe und U-Boote auf dem Weg in den Atlantik über weite Strecken entlangfahren müssen und dem zudem mit der Bäreninsel und mit Spitzbergen weitere Territorien im Nordmeer gehören, unterhält die Bundeswehr seit dem Jahr 2017 eine strategische Marinekooperation, die nicht zuletzt die U-Boot-Jagd umfasst.

»Gemeinsam«, sagte Pistorius in Ottawa, »wollen wir den Schutz der kritischen maritimen Infrastruktur und der Seekommunikationswege im Nordatlantik verbessern.« Dem dient der Ausbau der Kooperation mit Kanada, Norwegen und Dänemark sowie mit Großbritannien. Dem dienen auch die Pläne zu einer massiven, viele Milliarden Euro kostenden Aufrüstung der deutschen Marine mit Kriegsschiffen, U-Booten, Seefernaufklärern und vielem mehr. Zugleich ist kein Ende der ökonomischen Krise in Deutschland und der politischen Krise in der EU in Sicht. Die machttrunkene Ausdehnung der Operationsgebiete der Marine könnte leicht zum nächsten Schritt in eine strategische Überdehnung der eigenen Kräfte werden.

Hintergrund:Manöver in der GIUK-Lücke

Island und die umliegenden Meeresgebiete, die GIUK-Lücke, sind für die Bundeswehr beileibe kein Neuland. Vor allem die Marine ist im Rahmen von Manövern dort regelmäßig unterwegs. Zuletzt nahm sie Ende April an »Dynamic Mongoose« teil, einer Kriegsübung, in der es darum ging, feindliche – sprich: russische – Einheiten daran zu hindern, aus dem Norden kommend die GIUK-Lücke zu passieren und in den Nordatlantik einzufahren. Ein Schwerpunkt lag auf der U-Boot-Jagd. Seit 2014 wird das Manöver jährlich wiederholt. Dieses Jahr nahmen neben Gastgeber Island Deutschland, Großbritannien, Kanada, Norwegen und Dänemark teil, darüber hinaus die Niederlande, Polen sowie die Vereinigten Staaten. Island, das keine eigenen Streitkräfte hat – und weiterhin nicht beabsichtigt, ein eigenes Militär aufzubauen –, beteiligt sich üblicherweise mit der Küstenwache an der Übung.

Auch die deutsche Luftwaffe hat zumindest gewisse Erfahrungen mit Flügen von und über Island. Seit die Vereinigten Staaten im Jahr 2006 ihre noch aus dem Kalten Krieg herrührende Truppenpräsenz auf der Insel auf ein Minimum reduzierten, übernahm die NATO dort die Luftraumüberwachung, ähnlich wie im Baltikum. In den Jahren 2010 und 2012 erfüllte einige Wochen lang die Bundeswehr diese Aufgabe. Danach kehrten deutsche Militärflugzeuge erst im Jahr 2023 wieder zurück, als sie im Rahmen des Manövers »Rapid Viking« die Verlegung von Material auf den Militärstützpunkt Keflavík im Westen Islands probten. Werden nun, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius am 19. Oktober bei seinem Aufenthalt in Reykjavík ankündigte, regelmäßig deutsche Seefernaufklärer nach Keflavík verlegt, dann wird sich auch die Übungstätigkeit der Bundeswehr in Island wie auch über der GIUK-Lücke verstetigen, ergänzt durch Flüge deutscher Seefernaufklärer vom Militärstützpunkt der britischen Luftstreitkräfte im schottischen Lossiemouth. (jk)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. Oktober 2025 um 10:39 Uhr)
    Militärisch besitzt das Vorhaben begrenzte Wirksamkeit. Die russische Marine kann aufgrund moderner U-Boot-Technologien und alternativer Routen über den Arktischen Ozean weiterhin im Nordatlantik operieren. Die Stationierung deutscher P-8A-»Poseidon«-Flugzeuge erweitert zwar die Aufklärungsfähigkeit der NATO, überfordert aber zugleich die ohnehin knappen personellen und materiellen Ressourcen der Bundeswehr. Insgesamt erscheint die deutsche Beteiligung in der GIUK-Lücke daher vor allem als symbolisches Bekenntnis zur Bündnistreue. Strategisch bleibt offen, ob der sicherheitspolitische Nutzen den wachsenden finanziellen und logistischen Aufwand rechtfertigt.

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