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Aus: Ausgabe vom 27.10.2025, Seite 11 / Feuilleton
Sprachkritik

Von Mäusen und Menschen

Kleine Gebetsmühlenkunde: Knut Cordsen probiert eine Bestandsaufnahme des Gegenwartsdeutsch
Von Peter Köhler
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Ein bisschen Frieden

Womit anfangen, womit aufhören, was darf nicht vergessen werden, was hingegen ist weniger wichtig und kann ausgelassen werden? Solche Fragen stellen sich jedem Kritiker, der die zeitgenössische Sprache unter die Lupe nimmt und, weil Wörter mehr sind als eine Ansammlung von Buchstaben bzw. Lauten, im besten Fall vom linguistischen Befund ausgehend den Zustand von Politik und Gesellschaft diagnostizieren kann. Zwar ist er ebenso wenig wie der Arzt allwissend und unfehlbar, weshalb er sich bei seiner Exploration des Patienten namens Gegenwartsdeutsch auf die Aussagen, die ihm gemacht werden bzw. durch die Medien zufließen, konzentriert oder eben beschränkt.

Wenn das »Wörterbuch meiner Mitmenschen«, das der Kulturjournalist und ausgebildete Politologe Knut Cordsen jetzt vorlegt, Lücken aufweist, ist das also unvermeidlich. Konservative Phrasen wie »regelbasierte Ordnung« oder gemeingefährliche Schlagwörter wie »kriegstüchtig« (»kriegssüchtig« sagt man besser nicht) fehlen deshalb, was man bedauern kann. Schade ist, dass Cordsen das Gendern, also die Einnordung der Kommunikation nach dem Geschlecht (sicht- und hörbar übrigens nur zwei), ebenso wenig wie den guten und schlechten Einfluss des hilfreichen und imperialen Englisch einer näheren Untersuchung für wert befindet.

Damit genug der Kritik am Sprachkritiker, der hier nicht mit dem protzigen Anspruch einer allumfassenden Darstellung des heutigen Deutsch antritt, sondern sich, pars vielleicht pro toto, ausgewählten Phänomenen zuwendet: z. B. der als »pseudodemokratisch« eingestuften Phrase vom »Angebot«, das Kandidaten mit ihrem Programm den Wählerinnen und Wählern machen (und das nebenbei die Ökonomisierung des politischen Denkens anzeigt); oder der Karriere des angehängten Adjektivs »fest« in den, Sorgen geschickt beiseite wischenden, Formen »armutsfest« und »krisenfest«; und der Wortspieleritis nach Art von »fairkaufen«, die mittlerweile kranke Formen wie den »Fairpresso« erzeugt hat.

Dass man von der Sprache auf die Sprecher und von ihnen auf die Gesellschaft schließen kann, ist altbekannt. Ihre Infantilisierung zum Beispiel ist nichts Neues (Fußballer, um ein Beispiel aus der eigenen Lameng zu schütteln, sind seit langem keine Männer mehr wie zur Zeit Sepp Herbergers, sondern »Jungs«); doch sie äußert sich in immer neuer Weise und nicht nur im harmlos lustigen Kürzel »iwie« (für »irgendwie«). Ähnlich lustig, aber sozial viel interessanter ist es, wenn sich jemand »Büromaus« nennt (und sich die berufliche Mediokrität schönredet) oder sogar als »Pazifismus-Maus« bezeichnet und diese politische Haltung ins harmlos kindliche zu verniedlichen angebracht findet.

So gesehen, muss man froh sein, dass die meisten Politiker bisher nicht Mäuse adressieren, sondern noch von »den Menschen« reden. Kaum jemals sprechen sie von »Bürgern« – fiele ebendiesen das endlich einmal auf, würden sie vielleicht ihrer Macht in einer bürgerlichen Demokratie bewusst und, Cordsen zitiert Hölderlin, sich »ins Offene« trauen. Statt dessen bleiben sie lieber beim betreuten Wohnen und lassen sich von Ministern und Funktionären einlullen: »Es mag an der Gebetsmühlenartigkeit liegen: Wer immerzu hervorhebt, ein Prozess sei ergebnisoffen«, so Cordsen, »legt den Verdacht nahe, dass er das gerade nicht ist, sondern dass dessen Ausgang längst felsenfest steht.«

Dumm, populistisch und faschistoid wäre es jetzt zu schimpfen, dass »die« Politiker sowieso was ganz anderes offen haben. Man muss schon unterscheiden, aber dumm sind die Rechten nicht. Sie kapern geschickt, was sie brauchen: beispielsweise das Schlagwort von der »Lügenpresse«. Es war 1914 ein gegen die kriegsbegeisterten »Radau- und Schwindelblätter«, die »Lumpen- und Lügenpresse« geprägter Kampfbegriff, den Siegfried Jacobsohn in seiner Schaubühne (der späteren Weltbühne) einführte und der 1919 vom Spartakusbund gegen die reaktionäre Journaille gewendet wurde.

Die Nazis entwendeten das Schlagwort und vererbten es ihren Nachfolgern. Sie »einhegen«, »entzaubern« und im politischen Kampf »stellen«, das wollen Sozialdemokraten und Grüne, Linke und bisher auch Christdemokraten, wie Cordsen mit Zitaten belegt. Nur bedarf es dazu mehr als solcher Phrasen. Es bedarf nach Exploration und Diagnose einer Therapie.

Knut Cordsen: Stand jetzt. Aus dem Wörterbuch meiner Mitmenschen. Verlag Antje Kunstmann, München 2025, 128 Seiten, 22 Euro

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