Weimers Sorgen
Von Peter Merg
Unser Kulturstaatsminister ist ein Mann kühner Ideen. Was wäre etwa, wenn man den Forderungen der Bibliotheken nachkäme und sie auch an Sonntagen öffnen ließe? Würden dann ein paar Menschen mehr ein Buch in die Hand nehmen, vielleicht sogar ein gutes? Gar lesen? Das fragte sich Wolfram Weimer, noch einigermaßen im Schwung von der Frankfurter Buchmesse, vor dem »Tag der Bibliotheken« am Freitag. Einfach mal fordern kostet ja nichts, entschied Weimer, der gern und viel fordert, aber wenig umsetzt, und summte salbungsvoll: »Ich setze mich dafür ein, dass die arbeitszeitrechtlichen Grundlagen für die Öffnung öffentlicher Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen geschaffen werden«, denn Bibliotheken seien »unverzichtbare Orte des Austauschs, der Aufklärung und geistigen Unabhängigkeit.« Was Weimer eigentlich Angst machen sollte, doch stimmt es natürlich trotzdem. Unser Heldentenor sang sich allerdings erst warm: »Bibliotheken sind Grundpfeiler der Aufklärung – gerade in Zeiten der Digitalität. Sie bewahren gesichertes Wissen, das für alle zugänglich ist. Mit ihrem breiten Medienangebot bieten Bibliotheken nicht nur leicht zugänglichen kulturellen Genuss, sondern unterstützen die Informationsfreiheit als wichtige Grundlage für Demokratie und Meinungsvielfalt, gegen Fake News und Geschichtsrevisionismus.«
Wozu freilich auch zählt, dass weiterhin die paar noch vorhandenen Restbestände kritischer Literatur oder an Büchern aus der DDR aussortiert werden, um Platz für den neuesten Stuss von der Spiegel-Bestsellerliste zu machen (aktuell etwa: SenLinYu, Dan Brown, Ken Follett … Giulia Enders, Richard David Precht, Axel Hacke usw.). Welcher Güte also »Bildung und Information« sind, zu denen Weimer »unabhängig von Arbeitszeiten und Lebensrealitäten (sic)« Zugang verschaffen möchte, wäre zu diskutieren. Vielleicht gefällt ihm aber auch nur der Gedanke, ein paar Grundpfeiler anderer Art fallen zu sehen, etwa arbeitsrechtliche. Ob die Entgrenzung der Arbeitszeit der einen die richtige Antwort auf die Entgrenzung der Arbeitszeit der anderen ist, dazu darf man ein paar Aufklärung erheischende Fragen haben. Etwa die, wer die ganzen Extraschichten und Feiertagsaufschläge eigentlich bezahlen soll. Wahrscheinlich die jeweiligen Träger, also die notorisch im Geld ersaufenden Kommunen. Und sperren dafür die Bibliothek künftig montags zu wie die Kneipen?
Vielleicht hat man dann wenigstens Zeit, Französisch zu büffeln, um Denis Merklens noch immer nicht übersetztes »Pourquoi brûle-t-on des bibliothèques? Quand les classes populaires questionnent la sociologie et la politique« (Warum werden Bibliotheken niedergebrannt? Wenn die Arbeiterklasse Soziologie und Politik hinterfragt, 2013) zu lesen. Noch so eine Frage, die sich Weimer nie stellen wird.
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Leserbrief von Emmo Frey aus Dachau (28. Oktober 2025 um 10:52 Uhr)Was Herrn Weimer eigentlich Angst machen sollte, haben Sie gut getroffen: Aufklärung und geistige Unabhängigkeit. In manchen Fällen, z. B. in »meiner« Stadtbibliothek Dachau wird kritische Literatur gar nicht erst aufgenommen. So findet man nichts von Karl Heinz Deschner und seiner Kriminalgeschichte des Christentums. Dafür viele Bildbände von Heiligen Vätern, vor allem von »unserem« Benedetto. Auch Karl Kraus: Fehlanzeige. Immerhin ein einziges Bändchen Wiglaf Drostes, der mal in Dachau zu einer Lesung eingeladen war. Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« war gleich viermal zum Ausleihen vertreten.
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