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Aus: Ausgabe vom 27.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Popkultur

In Strict Tempo

Zum Tod des Popmusikers Dave Ball
Von Maximilian Schäffer
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Soft Cell im November 2021 in London, Dave Ball im Hintergrund links

Von Anfang an spielten Soft Cell mit der reinen Illusion. Da stand eine große Diva in Federschmuck vor einem Tanzorchester und war in Wahrheit ein sehr schmaler, sehr schwuler Mann in Lederjacke und dahinter ein bald etwas rundlicherer Heterosexuellerer mit einem Synthesizer. Ein Alleinunterhalterduo, wenn man so will. Sie lernten sich auf der Kunstschule in Leeds kennen und coverten das in der Northern-Soul-Szene sehr beliebte »Tainted Love« (ursprünglich die B-Seite der 1965er Debütsingle der Sängerin Gloria Jones, der späteren Lebensgefährtin von Marc Bolan) und taten es auf dem Niveau einer elektronischen Stricherkapelle. Sie schafften den Welthit: Nummer eins in siebzehn Ländern. Marc ­Almond sang und starb den Schwan zu »Say Hello, Wave Goodbye« (der letzte Track auf Soft Cells Debütalbum »Non-Stop Erotic Cabaret«), während – relativ ungewöhnlich für 1981 – Dave Ball fast ausschließlich Streicher und Bläser aus seinem Synclavier und seinem Prophet-5-Synthesizer nudeln ließ. Was Soft Cell unvergleichlich machte, war die Kälte und Geilheit dieser auf die kleinstmögliche Einheit geschrumpften Version eines Kammerensembles. Almond stöhnte anorektisch und vollgedröhnt mit leeren schwarzen Augen von Sexzwergen, Peepshows und Doppelleben, Ball werkte konzentriert im weißen Sakko.

Zwei Parallelprojekte lenkten die beiden von Soft Cell, der fernsehtauglichsten Version ihres jeweiligen künstlerischen Ausdruckswillens, dankbar ab. Marc and The Mambas spielten Neo-Flamenco-Synth-Wave, während Dave Ball zusammen mit Genesis ­P-Orridge, Gavin Friday u. a. auf seinem Solodebüt »In Strict Tempo« auf Ritual, »American Stories« und BDSM abging.

1984 war es endgültig vorbei, die letzte Nacht in Sodom war getanzt: Die Pulverdrogen, der flüssige Glamour, das ewige Aufeinandersitzen. Gemeinsam hatten Ball und Almond 1982 noch am ersten Psychic-TV-Album »Force The Hand Of Chance« mitgearbeitet, danach versuchten sie Solokarrieren und klangen erst einmal, als hätten sie sich nie getrennt. Während Almond es als Popsänger zu keiner Zeit in die Erfolgssphären eines Morrissey schaffte und sich ohnehin mehr für Jacques Brel und »Torch« interessierte, gibt er bis heute die Diva für ein wissendes Publikum; auch die Schwulen sind ihm geblieben. David Ball verschlug es zunächst an die Seite von Genesis ­P-Orridge – und somit in den Industrialuntergrund – und arbeitete an der Filmmusik für »Decoder« (Muscha alias Jürgen Muschalek, 1984) mit, in dem u. a. William S. Burroughs, Ralf Richter und Christiane F. auftauchen.

1991 bemerkte niemand die erste, kurzzeitige House-Remix-Reunion von Soft Cell, die zweite im Jahr 2002 mit dem Album »Cruelty Without Beauty« juckte auch kaum eine Menschenseele. Die dritte und letzte seit 2021 hingegen wurde von Nostalgikern und neugierigen Jugendlichen dankbar angenommen, sogar die Pet Shop Boys klopften. New Wave, Dark Wave, Cold Wave lief wieder auf den Dancefloors, Almond und Ball dudelten wieder zusammen im Fernsehen, der Kreis hatte sich geschlossen. Natürlich klangen die alten Herren so fröhlich wie nie, was sollte es noch groß zu sehnsüchteln geben? Almond plauderte aus dem Nähkästchen der Vergangenheit, erzählte von Polaroids mit Warhol. Dave Ball hielt sich wie immer zurück, drückte zuletzt im Rollstuhl seine Tasten. Als gutmütiger Arrangeur der Karriere seiner Diva verstarb er am 22. Oktober im Alter von 66 Jahren in London.

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