Späte Erfüllung
Von Christian Stappenbeck
Die große Stunde für Hermann Budzislawski schlug Anfang 1934. Er übernahm 33jährig die Redaktion und Leitung der Neuen Weltbühne, eines der drei großen deutschen Exiljournale. Obwohl wenig bekannt, brachte er beste Voraussetzungen mit. Er verband kaufmännisches Geschick mit der Begabung, wichtige Autoren anzusprechen. Im Vorfeld der handstreichartigen Übernahme hatte Budzislawski in der Schweiz Edith Jacobsohn, die Witwe des Gründers und Inhaberin der Rechte am Blatt, davon überzeugt, dass er der einzig Richtige sei, um die Zeitschrift inhaltlich und wirtschaftlich zu führen. Im Laufe des Jahres 1933 waren nämlich die Verluste der Neuen Weltbühne bedenklich gewachsen. Und die alleinstehende Emigrantin Jacobsohn musste um ihre wichtige, ja notwendige Einkommensquelle fürchten.
Die Herausgeber der alten, der »Weimarer« Weltbühne hatten 1932 in weiser Voraussicht kommenden Unheils eine österreichische Parallelausgabe als Tochterblatt ins Leben gerufen. Das Stammkapital dafür kam vom Wiener Fabrikantensohn Hans Heller, einem Freund des jungen, nicht unerfahrenen Journalisten Wilhelm (später: William) Schlamm, der zum ersten Schriftleiter wurde. Als solcher hatte er sich erfolgreich bemüht, für das Blatt ein vielfältiges Meinungsspektrum an Autoren zu versammeln, von unabhängigen Liberalen bis zu Leo Trotzki. Nach dem Rechtsruck in Österreich (hin zum austrofaschistischen Ständestaat unter Kanzler Engelbert Dollfuß) hatte er im April 1933 den Sitz der Wiener Weltbühne nach Prag verlegt und den neuen Namen gewählt. Es gelang ihm weiterhin, jede Woche das Heft zu füllen und zu vertreiben, aber defizitär. Schlamm war die brillante Edelfeder, ironisch und elegant, gedanklich abstrakt. Sein Gegenspieler schrieb nüchtern, langatmig, allein auf die Sache konzentriert.
Getrennte Wege
Der Wechsel im ersten Quartal 1934 ging nicht ohne Krach ab. Der verdienstvolle Schlamm, der das Wiener Blatt seit Beginn geführt und geformt hatte, wollte keineswegs freiwillig gehen. Es gab beinahe Handgreiflichkeiten, schrieb Budzislawski an seine Frau, Schlamm habe sich »wie eine Wildsau« aufgeführt.¹ Der behauptete später, sein Hinauswurf sei eine verdeckte Aktion der KPD gewesen, während sein Rivale – beide ohne die Spur eines Belegs – den Vorgänger als eingefleischten Trotzkisten darstellte. Budzislawski wörtlich: »Schlamm keifte allwöchentlich besserwisserisch gegen die großen Parteien und Organisationen der Arbeiterklasse, machte Leo Trotzki als zusätzlichen Sprengstoff zum regelmäßigen Mitarbeiter und zwang uns zum Nachdenken darüber, wie wir diesem krakeelenden Verleumder die (…) Weltbühne wieder entreißen könnten.«²
Das Aus für Schlamm war gekommen, nachdem Frau Jacobsohn vom bisherigen Sozius Hans Heller die Erklärung erlangt hatte, dass sie allein Eigentümerin sei. Das Geld für Hellers Auszahlung besorgte Budzislawski. In der nächsten Ausgabe der Neuen Weltbühne hieß es in der Rubrik Antworten lapidar: »Willi Schlamm ist aus der Redaktion ausgeschieden und stellt auch seine Mitarbeit an der Neuen Weltbühne ein.« Budzislawski debütierte mit einem Leitartikel, der für die breite Sammlung von Bundesgenossen »überall im Volk, überall unter den Völkern« warb und sich von denen abgrenzte, die den Fraktionsgegner mehr hassten als den gemeinsamen Feind, den Faschismus. Dies war ein Seitenhieb gegen rechte SPD-Führer wie gegen die KPD und die Komintern, die ja erst in der Folgezeit zum Strategiewechsel fanden. Dass Budzislawski auch die Anhänger Trotzkis zur Bündnisbreite zählte, wurde ihm in der DDR noch nach Jahrzehnten übel angekreidet.³ Die »Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit«, die Bertolt Brecht im Exil formulierte,⁴ bewältigte Budzislawski recht gut; insbesondere verfügte er über den »Mut, die Wahrheit zu schreiben« und die »Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe«.
Der ausgebootete Schlamm gründete sofort ein neues Wochenblatt, die Europäischen Hefte. Trotz namhafter Autoren (Heinrich und Klaus Mann, Ludwig Marcuse) und notgedrungener Fusion mit dem Blatt Aufruf der Liga für Menschenrechte war schon im November 1935 das Ende gekommen. Schlamm widmete sich danach der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion unter Stalin und den Moskauer Prozessen: »Diktatur der Lüge. Eine Abrechnung« (1937 erschienen). Später wiederholten er und andere den Vorwurf, Budzislawski wäre von Moskau gesteuert, ein Kryptokommunist, schlimmer als ein offener Stalinist. Diese Vorwürfe beurteilt der Budzislawski-Biograph Daniel Siemens nüchtern: Die Verdächtigungen unter den Linksemigranten seien vielfach von persönlicher Feindschaft genährt gewesen und hielten genauer Nachprüfung nicht stand.⁵
Lebensläufe
Die beiden Antagonisten der Neuen Weltbühne verband nicht nur die lebenslange Publizistik und entschiedene Hitler-Feindschaft, sondern darüber hinaus ein jüdischer Familienhintergrund mit wohlhabenden Eltern. Schlamm wurde 1904 in Przemysl im österreichischen Galizien als Sohn von Sara Marie und Elias Schlamm, eines vermögenden Kaufmanns, geboren. Bald übersiedelte die Familie nach Wien, dort besuchte der Junge das humanistische Realgymnasium, wo er sich der Jugendbewegung des Wandervogels anschloss. Nach Abdankung des Kaisers und Ausrufung der Republik, als sich große Teile der Jugend politisierten, ging Schlamm in den Kommunistischen Jugendverband. Als Jugendvertreter wurde er 1922 in das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) gewählt. Schon während seines Studiums der Staatswissenschaften, das er 1927 abschloss, publizierte er in der Wiener Roten Fahne und in der Internationalen Pressekorrespondenz.⁶ Nach dem Studienabschluss heiratete er eine Montessori-Kindergärtnerin, der er bis zur goldenen Hochzeit treu blieb.
Genosse Willi, junges Mitglied des Zentralkomitees, entwickelte sich vom linken KPÖ-Politiker zum Hauptvertreter der rechten Minderheit. Genau genommen entwickelte sich die Parteiführung nach ultralinks, indem sie die »Sozialfaschismustheorie« übernahm: Hauptfeind wäre nunmehr die reformistische SDAP, insbesondere deren Linkssozialisten. Willi Schlamm und einige »Rechtsabweichler« wurden als »Träger des zersetzenden Einflusses der Sozialdemokratie« 1929 ausgeschlossen. Die nächsten zwei/drei Jahre der Biographie bleiben im Dunkeln, seine Arbeit jedenfalls verlegte er mehr und mehr auf die schriftstellerische Tätigkeit. Diese gipfelte im September 1932 in der festen Anstellung bei der Wiener Weltbühne. An der sozialistischen Idee, »der denkbar besten Sache«, hielt er zunächst fest.
Budzislawskis Vater Isidor war ein Kaufmann und koscherer Fleischermeister aus Bromberg (Bydgoszcz). Er und Ehefrau Jenny waren in den 1880er Jahren nach Berlin gezogen, wo der Sohn Hermann 1901 zur Welt kam. Zuerst besuchte er die jüdische Knabenschule in Berlin-Mitte. Auf der neusprachlichen Oberrealschule Charlottenburg legte Hermann 1919 sein Abitur ab. Bis zum 13. Lebensjahr musste er noch neben der Schule am Verkaufsstand der Eltern mithelfen. Dem Fleischersohn stand der Weg zum Studium offen, er wählte Jura, Nationalökonomie und Staatswissenschaften. Am Ende erwarb er den Titel Dr. rer. pol., auf den er Zeit seines Lebens Wert legte, auch und gerade nachdem ihm die nazistische Universität Tübingen 1938 den Doktorgrad aberkannt hatte (»Treuevergehen gegen Reich und Volk«). Nach mehreren Bread-and-Butter-Jobs erreichte Budzislawski 1925 sein Ziel und wurde Zeitungsmensch, zunächst als Redakteur bei der antikolonialen Industrial and Trade Review, später als Mitarbeiter bei verschiedenen Periodika. 1926 heiratete er die Büroleiterin Johanna Levy, »eine gute Partie aus jüdisch-christlichem Haus«; sie wurden ein festes Arbeitsteam und konnten in den 1970er Jahren ihre goldene Hochzeit feiern.⁷ 1929 trat Budzislawski in die SPD ein. Sein erster Beitrag in der Weltbühne erschien im Dezember 1932, und bis zu deren Verbot folgten noch etwa zehn Artikel unspektakulärer Art. Dann musste er mitsamt Familie in die Schweiz emigrieren, von wo es 1934 nach Prag ging.
Die böhmische Hauptstadt war ein Sammelpunkt der Emigranten. Sowohl Budzislawski als auch Willi Schlamm verkehrten im legendären Café Conti, wo sich deutsche Exilschriftsteller trafen. Auch der junge Stefan Heym war dort. Er berichtet in seiner Autobiographie »Nachruf« über Wieland Herzfelde, John Heartfield, F. C. Weiskopf und über den vielseitigen Ernst Ottwalt, Koautor von Brechts »Kuhle Wampe«-Drehbuch (Musik: Hanns Eisler). Legendär war im Conti der Oberkellner Gustav, der die linken Autoren »an ihrem Tisch mit besonderer Zuvorkommenheit bediente« und gelegentlich vor Spitzeln warnte: »Passen’s auf, Herr Doktor, da ist wieder einer!« worauf sich die Stimmen zum konspirativen Flüstern senkten. Später wurde ruchbar, dass auch Gustav der Gestapo dienstbar war.⁸ Budzislawski war von dieser Szene nicht sonderlich beeindruckt, ihn nervte der Klatsch der Exilautoren.
Volksfront und Exil
Seit 1933 waren die Antifaschisten überall in der Defensive, die Lage war unübersichtlich. Es gab unrealistischen Zweckoptimismus einerseits (Hitler wird bald stürzen), harte Kritik der von den Linksparteien Enttäuschten mit vagen Lösungsvorschlägen (Beispiel Schlamm) und abstrakte Forderungen. Budzislawski dachte pragmatisch, als er 1934 an Tucholsky schrieb, er wolle den Marxismus als »Kampf um die Linie, das Dogma, den echten Ring« lieber den Akademikern überlassen. »Sekten mögen recht haben. Macht erlangen sie nicht.« Zweckmäßig wäre es, »den wirtschaftlichen Hebel an(zu)setzen, um engherzige verschuldete Bauern, vergrämte Handwerker, aus der Bahn geworfene Intellektuelle und hilflose Krämer (…) zusammen mit ausgepowerten Proleten und herumlungernden Arbeitslosen zur Rebellion zu treiben«.⁹ Vieles deutete auf die Volksfront.
Diese wurde im Folgejahr Wirklichkeit. Budzislawski gehörte zum ersten Volksfront-Ausschuss in Prag, zu dem 1935 auch Walter Ulbricht, Franz Dahlem (KPD) und der Sozialdemokrat Siegfried Aufhäuser zählten. In der Weltbühne hatte schon Ende 1934 ein Meinungsaustausch zwischen Aufhäuser und Ulbricht zur Frage der Aktionseinheit stattgefunden – was zum Ausschluss Aufhäusers aus dem Vorstand der Exil-SPD führte. In Paris entstand am 2. Februar 1936 das Deutsche Volksfront-Komitee, nach seinem Tagungshotel Lutetia-Kreis genannt. Einlader war Heinrich Mann. Der Aufruf »Bildet die deutsche Volksfront. Für Frieden, Freiheit und Brot« scheiterte letztlich an einer ausbleibenden Massenbewegung. Der größere Teil des deutschen Volkes stützte das Naziregime. Der Lutetia-Kreis fand eine Fortsetzung im »Aktionsausschuss deutscher Oppositioneller« unter Leitung von Budzislawski (Ehrenvorsitz Heinrich Mann).
Wie stand Budzislawski zu dem Schlammschen Thema: zu den gleichzeitig laufenden Schauprozessen samt Liquidierung der Garde alter Bolschewiki? Kurz gesagt: schweigsam, ohne Kommentar. Seines Erachtens sollte alles unterbleiben, was einen Keil zwischen Bundesgenossen trieb. Man müsse »auch bei unerwünschten Vorkommnissen« die Nerven bewahren. Dass Budzislawski nicht naiv war, zeigte er nach seinem Moskau-Besuch im März 1935, als er die russischen Kollegen vorsichtig ermahnte, ihm problemorientierte Artikel zu schicken statt Hymnen auf die Sowjetunion.
Alle Prager Exilautoren erkannten 1938 die aussichtslose Lage der im Stich gelassenen Tschechoslowakei. Während Budzislawski schon im Mai seinen Redaktionssitz nach Paris verlegte, bemühte sich Familie Schlamm noch mit Nachdruck um Papiere zur Einreise in die USA. Ein Fürsprecher telegraphierte ihnen besorgt aus Hollywood: »Halten laengeren Aufenthalt in Prague fuer gefaehrlich!« Im November waren endlich die konsularischen Hürden bewältigt, die Schlamms reisten per Schiff ab und blieben die folgenden zwei Jahrzehnte in den USA. Schon im Dezember 1938 war Schlamm (jetzt anglisiert: William S.) wieder erwerbstätig als ständiger Mitarbeiter der New-Yorker Neuen Volkszeitung, einst ein sozialistisches Blatt, jetzt zunehmend antikommunistisch ausgerichtet.

Für die Budzislawskis war das französische Exil zwiespältig. 14 Monate lang konnte die Neue Weltbühne erscheinen, bis zum Schock vom August 1939: Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow hatten in Moskau den Nichtangriffsvertrag unterzeichnet (vom geheimen Zusatzprotokoll war noch nichts bekannt). In jenen Tagen fand im Hause Budzislawski eine Krisensitzung deutscher Antifaschisten statt. Albert Norden nahm als KPD-Vertreter teil. Die Anwesenden verlangten, dass er »namens der Partei den am 23. August 1939 abgeschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt ablehnen (…) sollte«. Das verweigerte er.¹⁰ An diesem Tage löste sich der Aktionsausschuss auf. Eine Woche später fand sich Budzislawski – mit vielen anderen Ausländern, Nazis und Antinazis – in einem französischen Internierungslager wieder. Die Neue Weltbühne war endgültig Geschichte.
Amerika
Erst im Oktober 1940, nach einer abenteuerlichen Flucht durch Frankreich über die Pyrenäen und Portugal, konnte die ganze Familie Budzislawski – das Ehepaar mit Tochter und dem Vater Isidor – den sicheren Hafen erreichen: Manhattan. Anfangs unterstützte sie der National Refugee Council. Im Sommer 1941 hatte Budzislawski das Glück, von der Starjournalistin Dorothy Thompson entdeckt zu werden, die seine Analysen der Weltpolitik für ihre Arbeit benutzte und ein ansehnliches monatliches Festgehalt zahlte (nach heutigem Wert etwa 5.000 Euro). Bald durfte er die US-weit beachteten Wochenkommentare Thompsons selbständig der Sekretärin in die Maschine diktieren.
Schlamm arbeitete ab 1941 für den erzkonservativen, sowjetfeindlichen Pressezaren Henry Luce, der gern Exkommunisten in Dienst nahm. Von hier aus war es später für Schlamm nur ein kleiner Schritt an die Seite des Kommunistenfressers Joseph McCarthy und weiter zur John Birch Society. Die Bekämpfung von »Liberalismus und Kommunismus« im Innern und Kalter Krieg nach außen waren das Programm. Bei den liberalen Medien galt Schlamm bald als dumpf-fanatisch und extrem rechts.
Die Rivalität zwischen Budzislawski und Schlamm soll 1944, so lautet eine gewagte These in der amerikanischen Publizistik, sogar die US-Präsidentschaftswahlen beeinflusst haben. Im Magazin Life erschien von Schlamm, der den republikanischen Kandidaten Thomas E. Dewey unterstützte, ein gehässiger Artikel über den für Franklin D. Roosevelt votierenden Gewerkschaftsführer Sidney Hillman. Die einflussreiche Thompson habe sich darüber, so die Fama, derart empört, dass sie von der Republikanischen Partei zu den Demokraten umschwenkte, was diesen »Millionen von Stimmen eingebracht habe«.¹¹ Angesichts seiner Vertrauensstellung bei Thompson ist es denkbar, dass es Budzislawski war, der seine Gönnerin gegen den alten Rivalen aufbrachte.
Am Ziel, seine Neue Weltbühne wieder herauszugeben, hielt Budzislawski (der sich als Alleininhaber der Rechte sah) während des Exils eisern fest; aber nicht um jeden Preis. Ein »Parteiorgan oder ähnliches« wollte er nicht machen, darum lehnte er entsprechende Finanzhilfen ab.
Nach dem Krieg
In Berlins sowjetischem Sektor bemühten sich Maud von Ossietzky und Hans Leonhard nach dem Ende des Krieges um das Wiedererscheinen der Weltbühne. Zuerst verhandelte man mit britischen Lizenzstellen. Diese bekamen Bedenken, weil aus den USA umgehend Ansprüche auf die Namensrechte geltend gemacht wurden. Einerseits von Budzislawski, andererseits vom Sohn Edith Jacobsohns, der behauptete, der Verkauf durch seine Mutter im Jahr 1934 sei nichtig. Letztlich erteilte die sowjetische Militäradministration der Witwe Ossietzkys mit der Lizenznummer 371 ihren Segen. Am 4. Juni 1946 erschien das erste der Hefte mit dem typischen roten Umschlag im gewohnten Quartformat. Bis Anfang der 1950er Jahre wurde es in allen vier Besatzungszonen stark nachgefragt, ehe der Vertrieb im Westen verboten wurde. Redaktionelle Unabhängigkeit konnte Leonhard, der die Redaktion bis zu seinem Tod 1966 leitete, nicht beanspruchen. Trotzdem fand neben anderen auch Thomas Mann, obgleich er ihren Kurs nicht immer teilte, für die neue ostdeutsche Weltbühne lobende Worte. Das Blatt, das mit einer Auflage von 82.000 startete (später dann circa 30.000), war in der DDR-Zeit wegen hoher Nachfrage stets Mangelware. Der alte Nimbus wirkte.
In New York schwand wegen der wachsenden reaktionären Hysterie die Hoffnung Budzislawskis auf eine »transatlantische Weltbühne«; er streckte die Fühler nach Deutschland aus. (Mit Bertolt Brecht hatte er noch dessen Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe geplant und geprobt.) Aus Ostberlin erfuhr Budzislawski, dass für ihn zwei Professuren zur Verfügung stünden: in Rostock und in Leipzig. Walter Ulbricht persönlich hatte Ende 1946 vermerkt, dass man Budzislawski nicht als Herausgeber haben wollte. »Nicht Weltbühne. Besser in Lehrtätigkeit verwenden«, hielt er in einer Aktennotiz fest. Und ein anderes Führungsmitglied der SED warnte vor Budzislawski mit den Worten: »Er betrachtet ja die Weltbühne mehr oder weniger als sein privates Eigentum«, daher wäre es besser, ihn mit einem Lehrstuhl zu locken.¹² So trat der Rückkehrer im Oktober 1948 in Leipzig die Professur für Zeitungswissenschaft und Journalistik an, die er bis 1967 innehaben sollte.
Sein in 15 Exiljahren gereifter, lockerer und zupackender Rede- und Schreibstil (»dem Ton und der Diktion nach« westlich) passte freilich schlecht zum Leipziger Funktionärsdeutsch. Mit den Kultur- und Ideologiewächtern der Partei gab es oft Streit. Von 1950 bis 1952 galt für ihn Lehrverbot. Der eigensinnige Budzislawski, seit November 1948 SED-Mitglied, passte sich aber in vielem an. Im Radio und auf Kundgebungen erhob er seine Stimme gegen den Adenauer-Staat, die westdeutsche Restauration und die neurechten Tendenzen. So zum Beispiel als Redner auf einer Leipziger Großveranstaltung »Antwort an Mister William Schlamm«, seinen alten Kontrahenten, der 1959 in der BRD angekommen war, um das christliche Abendland zu retten. Budzislawskis Sehnsucht blieb die Journalistik, und fast hätte er Mitte der 1950er Jahre ein Magazinprojekt namens Die Republik verwirklichen können. Es sollte ein Gegenstück zur Hamburger Zeit werden, ein »Kampfblatt gegen den Imperialismus«, doch auf hohem Niveau. Das Konzept war von Brecht, Chefredakteur sollte Budzislawski werden, Startauflage 120.000, Ersterscheinungstag der 1. März 1957. Letztlich entschied das Politbüro dagegen, die Gründe sind unklar.
Zurück zum Blättchen
Nach fast zwei Jahrzehnten Lehre in der DDR, im Alter von 66 Jahren, durfte er doch noch die Weltbühne übernehmen. Eine späte Erfüllung seiner Wünsche, die Budzislawski von 1967 bis 1971 genoss. Titel und Schlagzeilen waren seine Stärke, die Außenpolitik sein Lieblingsgebiet. Sein Ansehen war hoch genug, dass er es sich leisten konnte, bei der wöchentlichen »Anleitung« der Presse im Zentralkomitee der Partei zu fehlen. Das rege ihn zu sehr auf, äußerte er intern, da bekäme er einen Herzinfarkt. Doch problemorientierte Artikel über die eigene Gesellschaft, wie sie Budzislawski von russischen Kollegen 1935 verlangt hatte, kamen in diesen Jahren nicht vor – allenfalls indirekt bei Theaterkritiken oder in satirischen Artikeln über Alltagsärgernisse. Nach seinem 70. Geburtstag schied er als Chefredakteur aus, blieb aber weiterhin laut Impressum »Verlagsdirektor und Lizenzträger« und lieferte Beiträge.
Es wirkt wie ein Nachahmungseffekt: Auch Schlamm, bis dato für Axel Springer schreibend, erfüllte sich mit 68 Jahren einen Herzenswunsch und gründete sein eigenes Magazin namens Zeitbühne. Ein ultrarechtes Monatsblatt, der Name angelehnt an die Weltbühne. William Schlamm war Herausgeber, Verleger, Redakteur und Autor in einer Person: »Schlamm geballt auf 50 Seiten im Quartformat«.¹³ Er entwickelte darin eine an Irrsinn grenzende Polemik, da mehrere »Millionen hauptberuflicher Agenten des Kommunismus« den Westen durchsetzen würden und die CDU/CSU ein morsches Gebilde wäre, das die Entspannungspolitik nicht verhindern konnte.
Die beiden Gegenspieler starben im selben Jahr, 1978. Die Zeitbühne lebte noch ein Jahr, die Weltbühne vierzehn Jahre länger.
Anmerkungen:
1 Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Berlin 2022, S. 69. In dieser instruktiven Biographie wird auf breiter Quellenbasis das »gelebte Jahrhundertleben« Budzislawskis und sein Kontext umfassend beleuchtet.

2 Susanne Peters: William S. Schlamm. Ideologischer Grenzgänger im 20. Jahrhundert. Berlin 2013, S. 109ff. Hier auch folgende biographische Angaben.
3 Horst Eckert: Die Beiträge der deutschen emigrierten Schriftsteller in der Neuen Weltbühne von 1934 bis 1939. Volksfrontpolitik und Literatur. Phil. Diss. Humboldt-Universität. Berlin 1962, S. 30f.
4 Dieter Schiller: Verjagt mit gutem Grund. Exil-Thematik bei Bertolt Brecht. Berlin 2023, S. 10. Zum »Mut zur Wahrheit« gehörte auch, die fatale Niederlage der Arbeiterbewegung einzugestehen.
5 Siemens (Anm. 1), S. 96
6 Die INPREKORR erschien als Zeitung der Dritten Internationale, der Komintern, 1921–1939.
7 »50 Jahre in glücklichster Ehe gelebt und gearbeitet«, so Ehefrau Johanna. Vgl. Siemens (Anm. 1), S. 266
8 Stefan Heym: Nachruf. Frankfurt/M. 1990, S. 91ff.
9 Brief vom 14.1.1934, zit. n. Siemens (Anm. 1), S. 70f.
10 Erinnerung Albert Nordens, zit. n. ebd., S. 106
11 Peters (Anm. 2), S. 178f. u. Anm. 181
12 Notiz von Paul Merker, zit. n. Siemens (Anm. 1), S.194f.
13 Peters (Anm. 2), S. 489ff.
Christian Stappenbeck schrieb an dieser Stelle zuletzt am 4. August 2025 über den sozialistischen Pfarrer Arthur Rackwitz (1895–1980): »Feuer und Wasser«
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»Wenn man siegen will, braucht man viele Leute«
des Historikers Siemens über ihn, der in der Ahnenreihe von Ossietzky, Tucholsky oder Heinrich Mann steht, erschienen. Dass gerade heute wieder an sein publizistisches Wirken in der »Weltbühne« für Frieden, Antifaschismus und überhaupt gegen jede Art von Intoleranz erinnert wird, ist wirklich zeitgemäß. Zweitens bringt der Artikel auch neue Sichten auf Budzislawskis Erzfeind und Rivalen William Schlamm, einen üblen
und verbohrten Antikommunisten im Dienst von McCarthy oder auch des Springer-Imperiums. Dies ist eine Warnung auch vor heutiger Intoleranz und Hasspublizistik.
Drittens geht es schließlich bei Budzislawski und auch bei Schlamm natürlich um die Geschichte des berühmten roten Blättchens namens »Weltbühne«. Diese war, neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer für Journalisten, auch lebenslang sein Lieblingskind. Damit verbinden viele DDR-Bürger gute Erinnerungen. Stappenbeck erinnert an die juristischen Querelen um den Titel, die nach der Wendezeit zunächst zum Verschwinden
dieser Qualitätszeitschrift und nunmehr dazu geführt haben, dass es jetzt gleich drei konkurrierende Publikationen gibt, die von sich behaupten, das Erbe Ossietzkys oder auch Budzislawskis fortzusetzen. Dieses Zersplittern linker Publizistik ist gewiss nicht im Sinne von Hermann Budzislawski.