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Aus: Ausgabe vom 27.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Ein komischer Heiliger

Satiriker, Parodist, Versöhner: Letzte Woche verstarb der Musiker Dionysis Savvopoulos
Von Andreas Schäfler
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Dionysis Savvopoulos (l.) zusammen mit Mikis Theodorakis

Eigentlich feiert Griechenland dieses Jahr großflächig die 100. Geburtstage seiner weltberühmten Komponisten Mikis Theodorakis und Manos Hadjidakis – und trauert nun um deren illegitimen Nachfolger Dionysis Savvopoulos, der am 21. Oktober 80jährig an Krebs verstarb.

Als 1967 das griechische Militär putschte und eine faschistische Diktatur installierte, gingen nicht nur prominente Künstler wie Theodorakis, Maria Farantouri und Melina Mercouri, sondern auch viele kleine linke Lichter ins Exil. Einer von ihnen war Dionysis Savvopoulos aus Thessaloniki, der sich in Athen bereits als vagabundierender Chansonnier versucht hatte und nach seiner frühen Rückkehr aus Paris und Mailand bei den revoltierenden Studenten des Athener Polytechnikums rasch populär wurde: als undogmatischer Protestler, phantasievoller Liedermacher und mittelschwere Hoffnung der gerade aufkommenden griechischen Rockmusik.

Im »Perivóli Tou Treloú« (»Garten des Verrückten«, 1970) blühte bereits das Potential des großen Rattenfängers, der er bald werden sollte. Savvopoulos coverte den einen oder anderen Dylan-Song und frönte einem durchaus zappaesken Hang zum Gesamtkunstwerk, agierte dabei aber so vollauthentisch griechisch wie irgend möglich. Denn auch mit den Überlebenden des lange verfemten Rembetiko und mit der Tradition des Karagiozis (eine Figur aus dem volkstümlichen griechischen Schattenspiel; quasi Kasperle) war er im Bunde, und schon bald flogen dem krächzenden Störenfried selbst aus dem bürgerlichen Lager die Herzen nur so zu. Bis heute sind viele Wortspiele aus seinen Liedern in der griechischen Alltagssprache präsent.

Nach »Ballos« (1972) war Savvopoulos mit seinem Rocklatein am Ende und kümmerte sich um so hingebungsvoller um das neue griechische Lied, das er schon 1965 im Begleittext zu seiner allerersten EP proklamiert hatte: »Es ist warm, vertraut, lebendig. Es hat einen Hauch von Freude und einen Hauch von Trauer. Viel Glaube und viel Hoffnung. Es ist so klein, dass es einen Kuss birgt, und so groß, dass es eine Revolution fasst. An dieses Lied, das Eigentum des Volkes, glaube ich.« Satiriker, Anreger, Parodist, Versöhner und großer Umarmer – Savvopolulos sorgte unermüdlich für viel frische Luft in Griechenlands Hoch- und Subkultur. Die Sterne von Vangelis Germanos, Melina Tanagri oder der nachmaligen Popdiva Eleftheria Arvanitaki gingen in Savvopoulos’ Athener Club-Sessions auf, wo junge Gitarrenfreaks mit gestandenen Rembetikokämpen und mazedonischen Folkfiddlern um die Wette jammten.

So wie Savvopoulos oft unter der Unantastbarkeit von Theodorakis und Hadjidakis gelitten hatte, so wuchs er musikalisch auch an diesen Großwesiren und fand sich 1979 sogar mit ihnen vereint: auf Hadjidakis’ Album »Ta Paraloga«, wo er mit Melina Mercouri ein hinreißendes Duett sang. Inzwischen füllte Savvopoulos auch mühelos die großen Stadien des Landes. Außerdem flirtete er geschickt mit den Medien, und sein Einfluss beim Plattenlabel Lyra, wo er zunehmend auch als Produzent für den Nachwuchs wirkte, stieg ins Hadjidorakishafte. Als öffentliche Person geriet er jedoch immer öfter in tückische Sphären. Als die sozialistische Pasok von Andreas Papandreou zu einem immer schamloseren Günstlingsklub degenerierte, war für Savvopoulos Schluss mit links und lustig. Sein Album »To Koúrema« (»Der Haarschnitt«) von 1989 markiert einen verzweifelten Übertritt zum Defätismus. Er, der nie einer Partei seine Stimme gegeben hatte, weil er sich für etwas Besseres aufsparen wollte, pfiff nun sogar auf den Unterschied zwischen Pest und Cholera und warf sich ausgerechnet der Nea Dimokratia in Person von Konstantinos Mitsotakis (Vater des heutigen Ministerpräsidenten Kyriakos) an den Hals, was Freund und Feind nachhaltig irritierte. Dass sich Savvopoulos auch selbst nicht schonte (wann hatte er sich jemals die Haare so kurz schneiden lassen?), half ihm wenig. Und doch birgt ein Lied auf der Platte wieder jenen 68er-Kuss: »Kalokaíri« (»Sommer«) besingt aufs Verführerischste die griechische Spielart jener unerträglichen Leichtigkeit des Seins.

Die Heimat schimpfte, grummelte, seufzte – und verzieh. Schwamm drüber, Savvopoulos war ja weder der erste noch wohl der letzte komische Linke, der an sporadischer Unzurechnungsfähigkeit litt. 1986 durfte er fürs Staatsfernsehen eine 30teilige Sendung über das griechische Lied produzieren, im Jahr darauf auf einer Doppel-LP dokumentiert und bis heute der maßgebliche Sampler, wenn es um den Reichtum der neueren griechischen Populärmusik geht. Und als 2004 für die Abschlussfeier der Olympischen Spiele ein Zeremonienmeister gebraucht wurde, war Savvopoulos zur Stelle. Bei der Übertragung im deutschen Fernsehen wurde er vom topgebrieften Kommentator als »der griechische Dieter Bohlen« vorgestellt, wie gerade Konstantinos Kosmas auf Zeit online nochmals in Erinnerung gerufen hat.

Das schreit auch heute noch nach deutschen Reparationszahlungen, zu entrichten per möglichst zahlreicher Mailorder von Savvopoulos’ lieferbaren Platten, Sprachbarriere hin oder her. Und schon bald dürften ja auch ein paar neue Kompilationen mit zumindest ins Englische übersetzten Songtexten erhältlich sein.

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