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Aus: Ausgabe vom 23.10.2025, Seite 4 / Inland
Parteienkonkurrenz

Die »Mitte« auf Agentenjagd

»Auftragsliste des Kreml«: Neue Landesverratsvorwürfe Richtung AfD. Notz: Partei arbeitet »mit Russland, China und Nordkorea« zusammen
Von Kristian Stemmler
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Vaterlandsfreunde: Björn Höcke bei einem Familienfest der AfD zum Tag der deutschen Einheit (Erfurt, 3.10.2025)

Auf den anhaltenden Höhenflug der AfD in den Umfragen reagieren die Parteien der sogenannten Mitte mit einer Intensivierung der Kampagne, die das Ziel hat, die Rechtsaußenpartei in den Geruch des Landes- und Vaterlandsverrats zu bringen – gerade in der deutschen Tradition ein klassisches rechtes Manöver. Am Mittwoch wurde die schon vor einiger Zeit lancierte Erzählung, die AfD sei die fünfte Kolonne Moskaus, weiter forciert. Am weitesten aus dem Fenster lehnte sich diesmal der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD). Er vertraute dem Handelsblatt an, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die AfD für Russland Spionage betreibe. Sei einiger Zeit beobachte man »mit zunehmender Sorge«, dass die AfD das parlamentarische Fragerecht dazu missbrauche, »gezielt unsere kritische Infrastruktur auszuforschen«. Es dränge sich geradezu »der Eindruck auf, dass die AfD mit ihren Anfragen eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet«. Der »landesverräterische Aspekt« müsse im Rahmen eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens stärker berücksichtigt werden, forderte Maier.

Die AfD reagierte scharf. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, sprach gegenüber dem Handelsblatt von »irrwitzigen Verdächtigungen«. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke forderte die Entlassung Maiers und sagte, die AfD-Landtagsfraktion prüfe eine Anzeige wegen Verleumdung. Maier habe eine unerträgliche Verknüpfung von parlamentarischen Rechten und der außenpolitischen Lage vorgenommen. Seine Fraktion bezweifele Maiers Amtstüchtigkeit. Höcke kündigte auch eine medienrechtliche Prüfung der veröffentlichten Äußerungen an.

Maier hatte vorgerechnet, allein in Thüringen seien in den vergangenen zwölf Monaten 47 derartige Anfragen gestellt worden, mit »steigender Intensität und Detailtiefe«. Und auch auf Bundesebene gebe es »zahlreiche parlamentarische Anfragen dieser Art«. Die AfD frage nach Verkehrsinfrastruktur, der Wasserversorgung oder der Energieversorgung. »Besonderes Interesse« zeige die AfD an »polizeilicher IT und Ausrüstung, etwa im Bereich der Drohnendetektion und -abwehr«. Auch die Ausstattung im Bevölkerungsschutz, im Gesundheitswesen und Aktivitäten der Bundeswehr seien Gegenstand zahlreicher Anfragen. Baumann hielt dem entgegen, es gehe hier um Anfragen, mit denen »Missstände im Interesse der Bürger« aufgedeckt werden sollten. SPD und Union hätten »jahrzehntelang unsere Infrastruktur in Deutschland verkommen lassen«.

Auf der selben Linie wie Maier äußerte sich Marc Henrichmann (CDU), Vorsitzender des Geheimdienste-Kontrollgremiums im Bundestag. Russland mache »seinen offenkundigen Einfluss im Parlament, insbesondere in der AfD, natürlich geltend, um zu spionieren und sensible Informationen abzugreifen«, versicherte er dem Handelsblatt. Wer die Anfragenpraxis kennt, weiß allerdings, dass Regierungen auf parlamentarische Anfragen keine vertraulichen Fakten und Zahlen herausgeben müssen - und von dieser Möglichkeit auch eifrig Gebrauch machen. Der Ertrag einer Spionage, die sich auf parlamentarische Anfragen stützt, dürfte also überschaubar sein.

Natürlich schalteten sich am Mittwoch auch die Grünen ein. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, Vizevorsitzender des Geheimdienste-Kontrollgremiums, forderte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP eine Aktivierung der Justiz. Angesichts »immer neuer Enthüllungen« seien die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, »Hinweisen auf Korruption, Bestechlichkeit und versuchte Einflussnahmen durch ausländische Staaten sehr entschlossen nachzugehen«. Der Grünen-Politiker erklärte allen Ernstes, »dass die AfD eine Allianz mit gleich mehreren autoritären Staaten eingegangen ist und man gemeinsam mit Russland, China und Nordkorea daran arbeitet, unserem Land massiv zu schaden«.

Der tagesaktuelle Anlass für die Kampagne ist vermutlich die für 2026 geplante Reise des Vizefraktionschefs der AfD im Bundestag, Markus Frohnmaier, nach Moskau. CSU-Generalsekretär Martin Huber hatte die AfD-Spitze aufgefordert, die Reise zu stoppen – andernfalls handele es sich um »Landesverrat«. Dass Frohnmaier, der auch AfD-Chef in Baden-Württemberg ist, kürzlich erst – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – mit anderen AfD-Spitzenpolitikern in den USA war, ist für Huber selbstverständlich nicht der Rede wert. Auch Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) wollte nicht hintanstehen und erklärte gegenüber RTL/N-TV: »Putin würde AfD wählen.« Die AfD wolle »ein schwaches Deutschland, ein Deutschland unter russischem Einfluss, unter Einfluss des Kriegstreibers«.

Mehrere Bundestagsabgeordnete wollen unterdessen einen neuen Anlauf für einen fraktionsübergreifenden Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren starten. »Der nächste Schritt sollte nun darin bestehen, unabhängig und mit höchster juristischer Sorgfalt Belege zu sammeln und die Erfolgsaussichten eines Antrags prüfen zu lassen«, erklärte die SPD-Politikerin Carmen Wegge der Rheinischen Post (Mittwochausgabe). Ein konkreter Zeitpunkt stehe aber »noch nicht fest, da zunächst die rechtliche Substanz und Solidität der Beweisgrundlage entscheidend sind«.

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