Lehrer des Widerstands
Von Mathias Dehne
Die Samaritaner sind eine kleine Gemeinschaft, deren Entwicklung eng mit dem Judentum verbunden ist. Sie betrachten sich als direkte Nachkommen des Volkes Israels. Nahe Nablus in der Westbank liegt die heilige Stätte der Samaritaner, der Berg Gerizim. Nader Sadaka ist einer von ihnen. Er wurde am 12. Juni 1977 geboren und wuchs auf dem Gerizim auf. Dort, wo schnell der palästinensische Alltag unter der Besatzung ersichtlich wird: Sicherheitszäune und der blaue Davidstern als Vorboten der völkerrechtswidrigen Siedlung Har Brakha im Süden und die engen Gassen des Flüchtlingslagers Balata in Blickrichtung Osten, wo unverminderter Widerstand gegen Invasionen der israelischen Besatzungsarmee geleistet wird.
Auch Genosse Sadaka hat sich daran beteiligt. Er ist Freiheitskämpfer der Abu-Ali-Mustafa-Brigaden, des militärischen Arms der marxistisch-leninistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Und das ist in vielerlei Hinsicht besonders. Denn die Samaritaner sind für eine beinahe eidgenössische Neutralität bekannt: als Bindeglied zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen Arabern und Juden, wie Jusuf Sadaka Hacohen, ein samaritanischer Priester auf dem Berg Gerizim, gegenüber der Nachrichtenagentur Religious News Service berichtete. Viele Samaritaner vom Gerizim besitzen sowohl israelische als auch palästinensische Ausweise, sprechen Arabisch und Hebräisch. Für Israel war all dies lange ein Beleg für eine friedliche Koexistenz mit der Besatzung. Doch Sadaka erschütterte diesen Stereotyp.
Bereits als Kind leistete Sadaka Widerstand und warf mit Steinen auf die israelische Armee, wenn sie in Nablus einfiel. Später studierte er Geschichte und Archäologie an der An-Nadschah-Nationaluniversität und schloss sich dem Studentenflügel der PFLP an, der Progressiven Studentenaktionsfront. Als im Jahr 2000 die Zweite Intifada ausbrach, wurde Sadaka schnell zu einer herausragenden Persönlichkeit der Abu-Ali-Mustafa-Brigaden in Nablus. Die Stadt galt während der Zweiten Intifada als Hochburg der PFLP. Als Kommandeur soll Sadaka unter anderem für einen Angriff in Petah Tikva verantwortlich gewesen sein, bei dem 2003 vier israelische Soldaten getötet wurden.
Nach zweijähriger Flucht wurde Sadaka im Flüchtlingslager Al-Ain in Nablus im August 2004 festgenommen. Trotz monatelanger psychischer und körperlicher Folter weigerte sich Sadaka zu gestehen. Sechsmal lebenslänglich und 45 Jahre lautete schließlich das Urteil. Auch im Gefängnis war sein Kampfeswille ungebrochen. Seine Zelle verwandelte er in ein Klassenzimmer für Mitgefangene, wo er über die Geschichte, Identität und den Widerstand Palästinas unterrichtete. Dies brachte ihm den Ruf als »Denker« ein, wie das Kuds News Network schrieb. Nachdem Sadaka in früheren Abkommen mehrfach die Freilassung wegen der von ihm angeblich ausgehenden Gefahr verwehrt worden war, kam er schließlich nach mehr als 21 Jahren im Zuge des jüngsten »Friedensabkommens« am 13. Oktober frei. Er ist einer von 154 ehemaligen politischen Gefangenen, die ins Exil gezwungen wurden.
In nun publik werdenden Interviews etwa gegenüber dem Onlinemagazin Middle East Eye beschreibt er den grenzenlosen Sadismus, den Israel an palästinensischen Gefangenen seit dem 7. Oktober ausübt. Sadaka hat stets betont, dass er sich als Palästinenser sieht und nur ein kleiner Teil seiner Persönlichkeit samaritanisch sei – eine Erklärung für Schikanen wie wiederkehrende Einzelhaft, denen er wie viele palästinensische Gefangene ausgesetzt war. Nach seiner Ankunft im ägyptischen Exil gab Genosse Sadaka eine Erklärung ab, in der er seine andauernde Hingabe für den palästinensischen Befreiungskampf unterstrich: »Der Widerstand ist derjenige, der spricht, der angreift und der sich durchsetzt. Keine Stimme erhebt sich über seine. Alles, was von uns, den freien Menschen der Welt, verlangt wird, ist, zuzuhören und zu gehorchen.«
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