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Aus: Ausgabe vom 21.10.2025, Seite 2 / Inland
Politische Gefangene

»Das bedeutet systematische Folter«

In der Türkei befinden sich mehrere politische Gefangene seit längerer Zeit im Hungerstreik. Ein Gespräch mit Sükriye Akar
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Der Gefängniskomplex in Silivri in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze gilt als größte Haftanstalt in Europa

Seit zwei Jahren befinden sich politische Gefangene in der Türkei im Hungerstreik. Wie viele sind es genau und wie ist ihre gesundheitliche Situation?

Seit zwei Jahren werden immer wieder unbefristete Hungerstreiks durchgeführt. Aktuell scheint es die Regierung darauf anzulegen. Die Forderungen der Gefangenen werden bis zur Grenze des Todes ignoriert. Das Signal an die Gefangenen ist klar: Wenn ihr euch schon nicht beugt, den Kampf fortsetzt und Widerstand gegen diese Isolationsfolter leistet, dann müsst ihr in Kauf nehmen, bleibende Gesundheitsschäden davonzutragen. Das ist ein deutliches Zeichen an die Gefangenen, aber genauso an die Öffentlichkeit. Aber die Gefangenen lassen sich nicht beeindrucken. Auch mein Mann befindet sich im unbefristeten Hungerstreik. Dieser Montag ist der 205. Tag seines Hungerstreiks. Momentan befinden sich 15 Gefangene im unbefristeten Hungerstreik. Drei sind im kritischen Zustand. Wenn ihre Forderungen nicht so schnell wie möglich umgesetzt werden, könnte der Tod dieser Widerstand leistenden Gefangenen eintreten.

Was sind die konkreten Forderungen?

Pauschal fordern sie die Schließung der SRY-Typ-Gefängnisse, die von den Gefangenen »Grubentypgefängnis« genannt werden. Aber die Gefangenen beenden schon den Hungerstreik, wenn sie in ein F-Typ-Gefängnis, also ein »Nichtgrubentypgefängnis«, verlegt werden. Der Hof befindet sich an der Zelle. Und deren Türe bleibt bis zum Sonnenuntergang offen. Es gibt Besuchserlaubnisse auch für Menschen, mit denen sie nicht ersten Grades verwandt sind. Und sie dürfen im Idealfall über eine unbeschränkte Anzahl von Büchern und Zeitungen verfügen. Die »Grubentypgefängnisse« bedeuten dagegen systematische Folter. Kurz formuliert: Keine Sonne, keine Luft, kein Mensch. Sie sind 23 Stunden ganz allein in der Zelle, ohne einen einzigen Menschen zu sehen. Nicht mal den Wärter, mit dem kommuniziert man über eine Gegensprechanlage. Es gibt nur eine Stunde Hofgang, wobei man dem Wetter ausgesetzt ist. Das Recht auf Hofgang wird dann zur Strafe. In der Zelle findet keine Luftzirkulation statt. Es kommt keine Sonne rein.

Unbefristete Hungerstreiks und das sogenannte Todesfasten sind eine sehr drastische Aktionsform. Inwieweit halten Sie diese für sinnvoll und erfolgversprechend?

Ja, es ist in der Tat sehr drastisch. Es ist eine Art, Widerstand zu leisten, wenn alle anderen Kampfformen nichts gebracht haben. Die Gefangenen möchten ihre Gesundheit ja auch nicht unbedingt gefährden. Wer möchte schon ein Leben lang mit den Langzeitfolgen des Hungerstreiks leben? Aber was sollen die Gefangenen in dieser Situation schon anderes machen? Und sie werden auch dazu gezwungen, so eine drastische Aktionsform durchzuführen, weil die Solidarität draußen nicht stark genug beziehungsweise ausreichend ist. Darum ist es sinnvoll. Aktuell wurden in den »Grubentypen« 15 Hungerstreiks durchgeführt, die mit erfolgreichen Verlegungen beendet wurden. Die Frage sollte eher lauten: Was können wir draußen tun, damit die Gefangenen so eine drastische Aktionsform nicht einsetzen müssen?

Laut offiziellen Verlautbarungen findet seit mehreren Monaten ein Friedensprozess in der Türkei statt. Welche Rolle spielt die Situation der politischen Gefangenen in diesem Kontext?

Es war mal die Rede vom »Recht auf Hoffnung«. Was ein verbrieftes Recht der Gefangenen ist. Dies ist in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen, Europäischen Menschenrechtskonventionen und weiteren verankert. Das heißt, »jeder hat das Recht eines Tages seine Freiheit zu erlangen«. Denn in der Türkei bedeutet eine lebenslange Haftstrafe wirklich ein Leben lang. Dieses Recht auf Hoffnung wäre auf Abdullah Öcalan beschränkt gewesen. Aber ich hätte es begrüßt, wenn dieses Recht auf Hoffnung schon mal bei ihm umgesetzt worden wäre.

Welche Aktivitäten gibt es in Deutschland?

Hier geht es vor allem um drei Dinge. Erstens die Öffentlichkeit zu informieren mit Artikeln, Interviews und Informationsveranstaltungen. Zweitens muss Druck auf das Justizministerium der Türkei ausgeübt werden. Man kann ihnen Mails schicken und Informationen über soziale Medien verbreiten. Außerdem kann man sich an den Aktionstagen für die Gefangenen beteiligen. Drittens ist es sehr wichtig, den hungerstreikenden Gefangenen Post zu schicken.

Sükriye Akar ist die Ehefrau des hungerstreikenden Gefangenen Fikret Akar

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