»Gesundheit ist immer auch eine Machtfrage«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Warum braucht es einen Verein, der sich speziell um die gesundheitlichen Belange der tamilischen Community kümmert?
Viele Tamilinnen und Tamilen in Deutschland sind seit Jahrzehnten hier, doch Zugänge zu medizinischer Versorgung bleiben oft erschwert – sei es durch Sprachbarrieren, kulturelle Missverständnisse oder institutionelle Hürden. Wir erleben immer wieder, dass Menschen ärztliche Hilfe zu spät suchen, weil sie das System nicht verstehen oder sich nicht ernst genommen fühlen. Unser Verein leistet daher nicht nur direkte Gesundheitsaufklärung in tamilischer Sprache, sondern macht diese Themen auch öffentlich sichtbar: durch Veranstaltungen, Broschüren, Social-Media-Kampagnen und politische Stellungnahmen. Es geht um Empowerment, aber auch darum, Druck auf Politik und Institutionen auszuüben.
Welche medizinischen Bereiche deckt der Verein ab?
Unser Verein versteht sich als Zusammenschluss tamilischer Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, medizinischer Fachpersonen und Studierender der Medizin in Deutschland. Wir möchten einerseits die tamilische Community gesundheitlich unterstützen – etwa durch Aufklärung zu chronischen Erkrankungen oder psychischer Gesundheit. Andererseits sehen wir uns als Stimme in der deutschen Öffentlichkeit, um Missstände im Gesundheitswesen sichtbar zu machen. Wir arbeiten interdisziplinär: von Prävention und Aufklärung bis hin zu Fragen der Gesundheitsgerechtigkeit und politischer Interessenvertretung.
Ihr Verein kritisiert strukturellen Rassismus im deutschen Gesundheitswesen. Wie äußert sich dieser?
Struktureller Rassismus bedeutet nicht nur offene Diskriminierung, sondern alltägliche Ausschlüsse aus dem System. Tamilische Patientinnen und Patienten berichten, dass ihre Schmerzen nicht ernst genommen werden, dass Ärzte keine Übersetzung hinzuziehen oder dass bestimmte Krankheitsbilder bei Migrantinnen und Migranten schlicht übersehen werden. Aber auch im Berufsalltag erleben tamilische Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte Benachteiligungen – bei Beförderungen, im Kollegium oder in der Wahrnehmung ihrer Kompetenz. Wenn Gesundheit ein Menschenrecht ist, dann dürfen Herkunft oder Hautfarbe keine Rolle spielen. Genau darauf machen wir aufmerksam.
In einer von Ihnen herausgegebenen Broschüre ist von globaler Gesundheit die Rede. Können Sie kurz ausführen, was Sie darunter verstehen?
Globale Gesundheit bedeutet für uns zweierlei: zum einen die Erkenntnis, dass Krankheiten und Gesundheit nicht an nationalen Grenzen haltmachen; das hat die Pandemie deutlich gezeigt. Zum anderen geht es um globale Gerechtigkeit: Warum haben Menschen im globalen Süden schlechteren Zugang zu Medikamenten oder medizinischer Infrastruktur? Wir verknüpfen daher unsere Arbeit in Deutschland mit einer solidarischen Perspektive auf Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika und auf Regionen, in denen tamilische Diaspora lebt. Gesundheit ist immer auch eine Frage von Macht, Kolonialgeschichte und ökonomischer Ungleichheit.
Streben Sie Kooperationen mit anderen medizinischen Einrichtungen und Vereinen an?
Ja, unbedingt. Wir wollen keine Parallelstruktur, sondern Brücken bauen. Das heißt Zusammenarbeit mit deutschen Krankenhäusern, Hausarztpraxen, migrantischen Selbstorganisationen und auch Gewerkschaften im Gesundheitswesen. Wir sehen uns als Teil einer breiten Bewegung, die für ein solidarisches Gesundheitswesen kämpft.
Beschränkt sich Ihre Arbeit auf die BRD, oder gibt es Projekte auf internationaler Ebene?
Unsere Arbeit ist transnational. In Deutschland sind wir aktiv mit Veranstaltungen, Aufklärungskampagnen und Netzwerkarbeit. International unterstützen wir Projekte in Sri Lanka, Gambia, Madagaskar – etwa beim Aufbau von Gesundheitsstrukturen in benachteiligten Regionen. Wir verstehen uns als Diasporaverein, der Verantwortung hier und dort übernimmt. Dabei ist klar: Es geht nicht um karitative Hilfe von oben herab, sondern um gleichberechtigte Partnerschaften und Solidarität.
Vimally Kethiswaran ist Geschäftsführerin des Verbandes tamilischer Ärzte und medizinischer Fachkräfte
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