Warschauer Ohrfeige
Von Reinhard Lauterbach
Das war eine schallende Ohrfeige, aber eine Ohrfeige für die Feigheit, mit der sich die Bundesregierung um eine klare Stellungnahme zu der Sabotage der russisch-deutschen Ostseepipeline herumdrückt. Dass jetzt ein polnisches Gericht die Auslieferung eines von der Bundesanwaltschaft ermittelten Verdächtigen abgelehnt hat und ein italienisches auf Weisung der höheren Instanz das Verfahren neu aufrollen soll, zeigt, dass die deutsche Linie, den Anschlag sozusagen privat gegenüber den Leuten zu ahnden, die an seiner Ausführung vielleicht beteiligt waren, nicht mehr umstandslos verfängt.
Dafür gibt es näher und ferner liegende Gründe. Der näherliegende ist, dass Polen den Verdächtigen eher als Helden ansieht denn als Straftäter. Der Warschauer Richter hat Aristoteles sowie Thomas von Aquin und dessen Lehre vom gerechten Krieg bemüht, um zu begründen, warum eine Strafverfolgung des Ukrainers unzulässig sei. Erstens ändere der Zustand des Krieges die rechtliche Bewertung: Was im Frieden ein Sabotageakt sein könne, sei im Kontext des »russischen Völkermords in der Ukraine« eine gerechtfertigte »Kampfhandlung mit Sabotagecharakter«. Es ist der feine Unterschied zwischen Terrorist und Freiheitskämpfer: alles eine Frage des Kontexts. Im übrigen habe der Verdächtige ja nicht als Privatmann die Sprengladungen angebracht, sondern im Dienst der Ukraine; wenn, dann müsse also diese verfolgt werden.
Was natürlich niemals passieren wird, das wusste der Warschauer Richter, und das weiß die Bundesregierung, die etwas von »Respekt für die Unabhängigkeit der Justiz« murmelte, also ihre Niederlage kleinredete. Denn mit dem Argument der »Staatenimmunität« kennt sich die Bundesrepublik mehr als gut aus. Sie hat es über Jahrzehnte angewandt, wenn beispielsweise griechische oder italienische Gerichte irgendwelche Entschädigungen von Deutschland verlangt haben, weil deutsche Truppen Dörfer niedergebrannt und die Bewohner ermordet hatten. Staatenimmunität, hieß es da immer aus Bonn wie Berlin, im Klartext: Ihr könnt uns mal. Dieses Argument fällt der deutschen Justiz jetzt auf die Füße.
Dass die Ukraine und ihre Soldaten im strafrechtlichen Sinne durch die Staatenimmunität gedeckt sind, heißt natürlich nicht, dass man sie nicht trotzdem für die Tat haftbar machen könnte. Beispielsweise durch politische Entscheidungen: die Einstellung der Militär- und Finanzhilfe für Kiew, ein Bremsen der ukrainischen Ambitionen auf einen EU-Beitritt, ein Ende des Hofierens der ukrainischen Faschisten in Berliner Ministerien. Aber das müsste man dann eben auch wollen und nicht mit einem Strafverfahren gegen einzelne die eigene politische Untätigkeit vernebeln. Und an diesem Willen fehlt es nach jetzigem Stand in Berlin. Deshalb ist die Warschauer Ohrfeige verdient.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von B.S. aus Ammerland (20. Oktober 2025 um 13:44 Uhr)Die angeblichen Terroristen – also diejenigen, die mit einem Paddelboot auf die Ostsee hinausgefahren sein sollen, um in über 100 Metern Tiefe die Nord-Stream-2-Pipeline zu sprengen – werden nicht an Deutschland ausgeliefert. Dass Polen Probleme mit der Rechtsprechung hat, ist nicht verwunderlich (man denke nur an die PiS-Partei oder den Staatspräsidenten). Und dass Italien, mit seiner faschistisch geprägten Regierung, Schwierigkeiten hat, das anglo-amerikanische NATO-Märchen weiterzuspinnen, überrascht ebenfalls nicht. Polnische Dialektik: »Erstens ändere der Zustand des Krieges die rechtliche Bewertung: Was im Frieden ein Sabotageakt sein könne, sei im Kontext des russischen Völkermords in der Ukraine eine gerechtfertigte Kampfhandlung mit Sabotagecharakter.« Es ist der feine Unterschied zwischen Terrorist und Freiheitskämpfer – alles eine Frage des Kontexts. Gut gebrüllt, Löwe! Doch bereits der damalige Bundeskanzler Scholz – in dessen Beisein US-Präsident Biden die Sprengung angeordnet haben soll – wusste, wer verantwortlich zeichnet. Nun gut … Scholz ist kein Garant für ein gutes Erinnerungsvermögen, wie er stets beweist. Doch eines ist nun klar: Die deutsche Justiz ist aus dem Schneider, nach dem bekannten Motto: »Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut!« Da erinnert sich auch Olaf Scholz wieder …
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. Oktober 2025 um 20:45 Uhr)Ich formuliere kurz und knackig: Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft ist Verschleierung durch Ermittlung. Da wird schon mal eine Kröte geschluckt. Oder anders: Stell’ dir vor, was los wäre, wenn die Tatsachen ans Licht kämen! Schon wieder Kondizionall II.
Ähnliche:
Kacper Pempel/REUTERS16.10.2025Werte und Staatsräson
Swedish Coast Guard via AP/dpa02.10.2025Darf Kiew alles?
ITAR-TASS/IMAGO28.05.2025Terrorkeule gegen humanitäre Helfer
Mehr aus: Ansichten
-
Coup des Tages: Einbruch in den Louvre
vom 20.10.2025