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Aus: Ausgabe vom 02.10.2025, Seite 8 / Ansichten

Darf Kiew alles?

Sprengung der Nord-Stream-Pipeline
Von Reinhard Lauterbach
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Wenn Geheimdienste eine Sprengung durchführen, kann man davon ausgehen, dass auch Spuren zur Ablenkung gelegt werden …

Das Warschauer Bezirksgericht hat am Mittwoch die U-Haft gegen den am Dienstag festgenommenen mutmaßlichen ukrainischen Pipelinesaboteur Wolodimir Z. um sieben Tage verlängert. Angeblich, um sich von der Bundesanwaltschaft die Originale der Vorwürfe und deren Begründung zuschicken zu lassen. Z. soll 2022 an der Sprengung der Gasleitung Nord Stream in der Ostsee beteiligt gewesen sein.

Der Verteidiger des Festgenommenen sprach von einer »untypischen Entscheidung in einer untypischen Sache«. Man kann auch sagen: Das riecht danach, dass im Hintergrund keine juristischen, sondern politische Entscheidungen anstehen. Denn an sich findet bei der Prüfung eines Europäischen Haftbefehls und der Entscheidung über die Auslieferung des Verdächtigen an das antragstellende Land eben keine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe statt. Das Gericht will erkennbar Zeit schinden. In einer Woche soll dann auch über den Antrag der Verteidigung entschieden werden, den Verdächtigen auf Kaution freizulassen und ihm damit zu ermöglichen, sich wie im vergangenen Jahr, als ihm die Bundesanwaltschaft schon einmal auf der Spur war, auch diesmal wieder in die Ukraine abzusetzen.

Die Argumentation des Verteidigers hat es dabei in sich: Man könne einem ukrainischen Bürger nicht verbieten, während des Krieges eine russische Einrichtung zu zerstören. Deutschland habe Wolodimir Z. nicht geschädigt. Die Beteiligung des Mannes wird also auch von seinem Anwalt nicht ernstlich bestritten, sondern er plädiert darauf, dass keine strafbare Handlung vorliege. Das ist sein Job als Verteidiger, aber es zeugt von der Unverfrorenheit, mit der sich die Ukraine international bewegt: Sie beansprucht, alles zu dürfen, was sie für erforderlich hält, ohne Rücksicht auf die Schädigung Dritter. Das sollte man in Erinnerung behalten, wenn weitere ungeklärte Vorfälle eintreten und aus Kiew sofort auf Russland als angeblichen Verursacher verwiesen wird.

Wolodimir Z. fühlte sich nach seinem Entkommen in die Ukraine offenbar sicher unter dem politischen Schutzschirm der polnischen Justiz, die ihn schon einmal vor der Festnahme bewahrt hatte. So sicher, dass er an seinen alten polnischen Wohnort zurückkehrte und dort eine – wohl als Residentur dienende – Baufirma aufmachte. Und über Außenminister Radosław Sikorski schrieb schon vor der Festnahme des Ukrainers die angesehene Rzeczpospolita, er habe dem Mann für die Beteiligung an der Sabotageaktion »Asyl und einen Orden« geben wollen. Sollte das stimmen, wäre es ein direkter diplomatischer Affront und eine politische Kraftprobe: Kann es sich die BRD leisten, in Warschau den Stunk zu machen, der dann anstünde? Und vor allem: Will sie es und sich damit selbst ernst nehmen? Oder lässt sie sich nicht nur von der Ukraine, sondern auch von Polen auf der Nase herumtanzen?

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  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus 12105 Berlin (3. Oktober 2025 um 09:59 Uhr)
    Nach Auskunft eines Profitauchers und zugleich Ausbilders – mit jahrzehntelanger praktischer Taucherfahrung – ist es möglich, wie in den bürgerlichen Medien zuvor behauptet, mit einer speziellen Ausstattung und Tauchausrüstung die Sprengung erfolgreich herbeizuführen. Eine ganz andere Frage ist die nach dem Verhalten der deutschen Regierungen und (zuständigen) Behörden. Hier offenbart sich die Unterwerfung unter fremde politische und ökonomische Interessen, gegen die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Es war und ist geradezu eine ausländische Kriegserklärung gegen die Bundesrepublik unter aktiver Beteiligung und Zuhälterei der deutschen Bundesregierungen und zuständigen staatlichen Behörden und deren Justiz. Meines Erachtens wäre die Einstellung jeder militärischen und sozialpolitischen Unterstützung für die Ukraine gerechtfertigt. Ebenso die Ausweisung und Rückführung der mehr als 1,5 Millionen Ukrainer aus Deutschland. Ebenso weiterhin keine staatliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Polen. PS: In anderen historischen Zeiten wäre es eine Kriegserklärung an Deutschland gewesen, mit dementsprechend gerechtfertigten militärischen Gegenreaktionen. 03.10.2025, R. S.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Oktober 2025 um 10:10 Uhr)
    Die Behauptung, die Ukraine habe Nord Stream gesprengt, ist ein Ablenkungsmanöver. 2022 hatte Kiew ganz andere Sorgen, und die Ostsee liegt weit jenseits seiner Reichweite. Eine solche Tiefseeoperation verlangt Hightech, Insiderwissen und viel Geld – Zutaten, die eher bei großen Militärmächten zu finden sind. Die zentrale Frage lautet daher: Wem nützte der Anschlag? Russland sicher nicht – Deutschland und die EU wurden geschädigt, während die USA als Hauptprofiteur dastehen. Genau darauf wies schon Seymour Hersh hin. Dass nun Verteidiger ernsthaft behaupten, ein Ukrainer dürfe »im Krieg russische Einrichtungen zerstören«, ist blanker Hohn. Die Pipelines versorgten Deutschland, nicht Moskau. Wer das rechtfertigt, verspottet deutsche Souveränität. Und Berlin? Es duckt sich weg, statt eigene Interessen zu verteidigen. So lange Deutschland den Mantel des Schweigens über diesen Anschlag legt, bleibt es kein Führungsstaat – sondern ein williger Spielball fremder Mächte.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (2. Oktober 2025 um 03:31 Uhr)
    »Kann es sich die BRD leisten, in Warschau den Stunk zu machen, der dann anstünde? Und vor allem: Will sie es und sich damit selbst ernst nehmen? Oder lässt sie sich nicht nur von der Ukraine, sondern auch von Polen auf der Nase herumtanzen?« Kiew darf nicht alles, aber die USA, auch beim Legen falscher Spuren. Und von den USA lässt sich die BRD seit ihrer Gründung auf der Nase herumtanzen, bzw. tanzt als Marionette selbst an den Strippen aus Übersee. Die ukrainische Spur ist ein Ablenkungsmanöver, welches Fachleute für Tauchoperationen oder Sprengungen längst widerlegt haben. Kein Wort davon im vorliegenden Artikel. Wenigstens eine kleine Anmerkung, dass die Urheberschaft der Ukraine in Zweifel steht, wäre angemessen gewesen. Der Bericht von S. Hersh oder die Ankündigung Bidens in Gegenwart von Scholz zu Nordstream II finden ebenfalls keine Erwähnung. Doch die von S. Hersh veröffentlichte Variante bleibt bisher die einzig überzeugende Erklärung, welche den Tathergang auch im Detail schildert. Alles andere sind Nebelwände. Von »Stunk« kann keinerlei Rede sein, gerade dann nicht, wenn sich die Bundesregierung tatsächlich ernst nimmt. Deutschland hat ja erklärt, dass durch besagte Gasleitungen geliefertes Gas für unser Land schädlich war, weil es abhängig von Russland gemacht habe. Merkel und Schröder mussten sich rechtfertigen. Sie hätten unserem Land mit Nordstream II keinen guten Dienst erwiesen. Konsequent muss die Bundesregierung dann den Verantwortlichen für die Sprengung Dankschreiben schicken, dass die sich so für die nun eingetretene größere Unabhängigkeit Deutschlands verdient gemacht – und dem Schaden für Deutschland ein Ende gesetzt haben. Es ist dann höchst undankbar und verletzt die Form, wenn nicht Deutschland statt Polen denjenigen Orden verleiht, die sich unter erheblichen Gefahren auf dem Meeresboden für unser Land so verdient gemacht haben. So würde ich als Verteidiger in dem Fall auf Freispruch plädieren. Aber das wird nicht nötig sein.

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