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Aus: Ausgabe vom 13.10.2025, Seite 7 / Ausland
Japan

In Tokio tut sich was

Japan: Juniorpartner verlässt Regierungskoalition kurz vor Wahl des Premierministers
Von Igor Kusar, Tokio
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Kurz vor dem Bruch: Komeito-Chef Saitō Tetsuo (2. v. l.) mit LDP-Chefin Takaichi Sanae am Freitag in Tokio

Die japanische Politik ist arm an dynamischen Veränderungen. Alle 15 Jahre kommt es dann doch zu Erschütterungen, bei denen sich die aufgebaute Spannung einem Erdbeben gleich entlädt. Ein solcher Moment könnte nun wieder vor der Tür stehen: Nachdem die rechte Hardlinerin Takaichi Sanae am 4. Oktober überraschend neue Vorsitzende der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) geworden war, kündigte der Juniorpartner Komeito am Freitag die Zusammenarbeit auf. Damit ist der Ausgang der Wahl zum neuen Premierminister im japanischen Parlament, die in etwa einer Woche stattfindet, völlig offen. Ein Machtwechsel erscheint nach 13 Jahren LDP-Politik möglich.

Komeito ist der politische Arm der buddhistischen Laienbewegung Soka Gakkai mit mehreren Millionen Mitgliedern. Sie versteht sich als eine Partei, die Frieden und soziale Fürsorge hochhält. Trotzdem ging sie 1999 eine Koalition mit der konservativen LDP ein, unter anderem, um sich Steuervorteile zu sichern. Die darauffolgende 26jährige Zusammenarbeit war phasenweise schwierig. Wahlerfolge sorgten jedoch dafür, die Gemüter auf beiden Seiten zu besänftigen. Nun scheint die Krise, in der sich die LDP seit einiger Zeit befindet, auch auf Komeito übergeschwappt – sie schwächelt mehr und mehr.

Nach der Wahl von Takaichi zeigte sich die Führung von Soka Gakkai sehr besorgt. Komeito-Chef Saito Tetsuo verlangte von der neuen LDP-Vorsitzenden eine Aufarbeitung der Affäre um schwarze Spendenkassen, deren Altlasten die LDP immer noch mit sich herumschleppt. Außerdem wünschte er sich, dass sie sich mit typisch rechten Anliegen wie einer Verschärfung der Ausländergesetze oder geschichtsrevisionistischen Kommentaren zurückhält. Darauf ging Takaichi nicht ein. Sie traute ihrem Juniorpartner einen Koalitionsbruch scheinbar nicht zu. Vielmehr provozierte sie noch und machte eine der Schlüsselfiguren des Schmiergeldskandals, Hagiuda Koichi, zum stellvertretenden Generalsekretär. Das wollte sich Komeito nicht gefallen lassen und zog am Freitag die Reißleine.

Der Schritt hat seine Ursache auch in einer zunehmenden Sorge um Japans Zukunft, die liberale und gemäßigte Kräfte – in den letzten Tagen noch verstärkt – erfasst hat. Takaichi wird vor allem von den ehemaligen Parteifreunden des Falken Shinzo Abe unterstützt, die mehrheitlich in den Schmiergeldskandal verwickelt sind, nach einer Auszeit aber wieder in den normalen Parteibetrieb eingegliedert werden. Ihr zweites Standbein bildet die Clique um Aso Taro, einen der Strippenzieher in der LDP. Er gab kurz vor der Wahl Takaichis bekannt, für die spätere Siegerin stimmen zu wollen. Andere Schwergewichte folgten seinem Beispiel. Dies ermöglichte es Takaichi erst, die Wahl zu gewinnen. Nun ist sie – wenigstens kurz- und mittelfristig – von Aso und seinen Ratschlägen abhängig. Es sind diese Krankheiten, die Schiebungen, die Korruption und der Klüngel, aus denen die LDP trotz des derzeitigen Gegenwinds nicht herausfindet, die das Land lähmen. Zudem droht ein Rechtsruck.

Der Koalitonsbruch scheint die Oppositionsparteien, die sich bisher stets zurückhaltend und passiv zeigten, wachgerüttelt zu haben. Noda Yoshihiko, Chef der linksliberalen KDP, der größten Oppositionspartei, spricht von einer Chance, die nur alle zehn, fünfzehn Jahre komme, wenn die LDP schwächelt und die Oppositionsparteien zusammenfinden – so geschehen im Jahre 1993, als acht Parteien die Regierung übernahmen. Die KDP sondiert seit Freitag aktiv hinter den Kulissen. Sie schlägt Tamaki Yuichiro, den Chef der Demokratischen Volkspartei – eine Zentrumspartei – zum Gegenkandidaten von Takaichi vor. Er wäre auch für die neoliberale Ishin no Kai und Komeito wählbar. Zusammen halten die vier Parteien im einflussreicheren Unterhaus die Mehrheit. Noch sind Differenzen – etwa in der Verteidigungspolitik – nicht überwunden, doch ein Zusammenschluss erscheint möglich.

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