Schon wieder Lecornu
Von Hansgeorg Hermann
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat seinen Vertrauten Sébastien Lecornu am Freitag zum zweiten Mal zum Ministerpräsidenten gemacht. Dieser war erst am Montag vergangener Woche zurückgetreten. Einen Monat lang hatte er vergeblich versucht, eine einigermaßen handlungsfähige Regierung aus Vertretern des rechtsliberalen Blocks in der Nationalversammlung zusammenzuschustern, der seit den Wahlen vom Juli 2024 ohne Mehrheit dasteht. Macron, so der Eindruck seit Freitag abend, lässt die Innenpolitik sausen. Am Montag reiste er nach Ägypten ab, um sich dort als wichtiger Moderator im israelisch-palästinischen Konflikt aufzuspielen. In den neuerlichen Anlauf, dem Land nach 15 Monaten Leerlaufs politische Führung zu geben, will er sich offenbar nicht einmischen, er habe Lecornu die volle Verantwortung übertragen und ihm für die Zusammenstellung eines neuen Kabinetts »freie Hand« gelassen, meldete der Präsidentenpalast Élysée. Wie es am Sonntag aussah, will der neue, alte Regierungschef nun wohl vor allem Technokraten aus den staatlichen Institutionen verpflichten.
Es droht eine Situation wie in Italien, wo nach dem Abgang des Bankers Mario Draghi mit Giorgia Meloni die faschistischen Fratelli d’Italia die Regierungsmacht übernahmen. Auch in Frankreich bereitet sich ein wachsender Teil der bürgerlichen Rechten, der Les Républicains (LR), auf eine Partnerschaft mit der Ultrarechten vor. Deren Chef Jordan Bardella – seine Mentorin Marine Le Pen wurde wegen mutmaßlicher Korruption vorerst von der Justiz aus dem Rennen genommen – bietet den katholisch-national geprägten »Republikanern« seit Monaten Zusammenarbeit für »gemeinsame Ziele« an, vor allem bei der Vertreibung muslimischer Migranten.
Republikaner-Chef Bruno Retailleau, einer der harten Scharfmacher seiner Partei und bisher Innenminister, hat seinen Posten als geschäftsführender Ressortleiter am Wochenende bereits verlassen. Für ihn soll, wie es am Sonntag in der Hauptstadt hieß, wohl der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nuñez einspringen, der – wie Retailleau und Lecornu – aus der politischen Schule des inzwischen mehrfach von der Justiz verurteilten ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy stammt. So hatte Lecornus erster Weg nach seiner Ernennung zum Premierminister vor sechs Wochen ins Büro des Delinquenten Sarkozy geführt.
Der Regierungschef muss sich diesmal ganz besonders beeilen, sein Kabinett irgendwie aufzufüllen. Die französische Verfassung verlangt von jeglicher Regierung die Verabschiedung des Staatsbudgets für das kommende Jahr bis spätestens zum 31. Dezember. Zuvor muss der Haushalt den Ministerrat passieren – der bis Sonntag nicht existierte – und danach mindestens 60 Tage, also ab Dienstag, im Parlament debattiert werden. Versperrt bleibt Lecornu wohl der Ausweg, das Budget per Dekret zu verabschieden. Eine solche Entscheidung würde nach Stand der Dinge sofort einen Misstrauensantrag der Oppositionsparteien in der Nationalversammlung und den folgenden Sturz der Regierung nach sich ziehen.
Macrons Plan, seinem Premier Lecornu eine gemeinsame Basis der Mitte-rechts-Parteien und damit eine zwar ohne Mehrheit ausgestattete, gleichwohl überlebensfähige Regierung zu verschaffen, ist zum dritten Mal seit den Wahlen im Juli 2024 gescheitert. Eine von Sozialdemokraten und den Grünen geforderte »Suspendierung« der Rentenreform von 2023 etwa war keiner der letzten drei Regierungen vermittelbar. Treu hinter Lecornu standen bis Sonntag mittag nur noch Bayrous wirtschaftsliberale Partei Modem und Teile von Macrons Regierungsfraktion Renaissance. Der extrem rechte Block um Marine Le Pen und den früheren LR-Chef Éric Ciotti einerseits sowie die Linken um Jean-Luc Mélenchons Partei La France insoumise (LFI) haben bereits Anträge zum neuerlichen Sturz der Regierung angekündigt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Oktober 2025 um 12:08 Uhr)Lecornu folgt Lecornu – und Macron schweigt sich großartig aus. Paris, das Land der Revolutionen, erlebt eine neue Form politischer Erneuerung: die Selbstkopie. Emmanuel Macron, einst der »Mozart der Macht«, hat es wieder getan – Sébastien Lecornu wurde von Emmanuel Macron zu Sébastien Lecornu ernannt. Das nennt man in Frankreich offenbar Kontinuität par excellence. Währenddessen schweigt Emmanuel Macron. Nicht das staatsmännische, präsidiale Schweigen, das Größe verrät, sondern das verstörte Schweigen eines Mannes, dem die Worte ausgegangen sind. Der einstige Rhetorik-Gourmet, der sich gerne in Sätzen von Wagnerscher Länge über die Zukunft Europas erhob, hat plötzlich kein Drehbuch mehr. Man könnte sagen: Macron hat die Sprache verloren – und mit ihr den Takt seiner Republik. Die Bühne: ein verunsichertes Frankreich, ein Präsident, der nicht abtritt, und ein Premierminister, der sich selbst ablöst. Lecornu, der Verlässliche, der Wiederholbare, soll jetzt das schaffen, was Lecornu zuvor nicht gelang: eine Regierung, die länger hält als ein Croissant am Morgenbuffet des Élysée. Das Dilemma bleibt das alte: Die Rentenreform ist der Fels, an dem jeder Premier zerschellt. Macron will sie retten, um sich selbst zu retten. Lecornu soll sie opfern, um Macron zu retten. Am Ende wird wohl beides verloren gehen.
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