Kameras als Zielscheiben
Von Jakob Reimann
Mit diesem Plottwist hat wohl niemand gerechnet: Eine »Hamas-Kamera« war angeblich das Ziel, als Israel am Montag zweimal kurz hintereinander das Nasser-Krankenhaus in Khan Junis im südlichen Gazastreifen bombardierte und dabei zwanzig Menschen tötete. Nicht die fünf Journalisten, die unter anderem für die Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press sowie das arabische Netzwerk Al-Dschasira über die Greuel in Gaza berichteten, seien demnach ins Visier genommen worden. Die Angriffe seien erfolgt, nachdem »eine Kamera identifiziert wurde, die von der Hamas im Bereich des Nasser-Krankenhauses positioniert worden war«, erklärte die israelische Besatzungsarmee laut AFP am Dienstag.
Bei sechs der getöteten Menschen habe es sich um »Terroristen« gehandelt, behauptet Israel. Ob damit nun die fünf Journalisten, die vier Krankenhausangestellten, das Mitglied der Zivilschutzkräfte oder die anderen getöteten Zivilisten gemeint sind, ist unklar. Fest steht: Die mutmaßliche Bedrohung sei »durch einen Angriff und die Zerstörung der Kamera« beseitigt worden, so der Rechtfertigungsversuch der Streitkräfte weiter. Die Hamas hat laut Reuters am Dienstag bestritten, dass unter den Getöteten Militante waren. Das Medienbüro der Gruppe erklärte in einer Stellungnahme, alle Todesopfer seien Zivilisten gewesen, und fügte hinzu, dass zwei der sechs getöteten Palästinenser, die Israel als Hamas-Mitglieder identifiziert haben will, überhaupt nicht im Krankenhaus waren, sondern bei separaten Angriffen an einem anderen Ort getötet worden seien.
Laut einer vorläufigen Untersuchung der Armee soll die Hamas die Kamera in der Nähe des Krankenhauses aufgestellt haben, um »die Aktivitäten der israelischen Truppen zu beobachten und terroristische Aktivitäten gegen sie zu richten«. Israel legte keine Beweise dafür vor. Ebenso bleibt unklar, warum das Treppenhaus im vierten Stockwerk des Krankenhauses bombardiert wurde, wenn sich die »Kamera« doch angeblich nicht im Gebäude, sondern nur »in der Nähe« befand, oder warum acht Minuten nach der ersten Attacke dieselbe Stelle erneut bombardiert wurde. Die Hamas bestritt, eine Kamera in dem Krankenhaus betrieben zu haben: Die Anschuldigung sei unbegründet, entbehre jeglicher Beweise und ziele lediglich darauf, »sich der rechtlichen und moralischen Verantwortung für ein Massaker zu entziehen«. Und selbst »wenn diese Behauptung wahr wäre, hätte es viele Möglichkeiten gegeben, diese Kamera zu neutralisieren, ohne eine Gesundheitseinrichtung mit einer Panzergranate anzugreifen«, sagte Bassem Naim, Mitglied des Hamas-Politbüros, gegenüber Associated Press.
Nachdem der Anschlag international Erschütterung ausgelöst hatte und selbst von Israels traditionellen Verbündeten sowie von zahlreichen NGOs und der UNO verurteilt worden war, sah sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu genötigt zu reagieren. Er sprach am Montag von einem »tragischen Missgeschick«, das sich im Nasser-Hospital abgespielt habe. Zuvor hatte er seinen Militärsprecher Effie Defrin vorgeschickt, der in einer von Sky News auf X veröffentlichten Videobotschaft erklärte: »Die israelischen Streitkräfte zielen nicht absichtlich auf Zivilisten.«
Vor rund zwei Wochen waren bei einem israelischen Angriff bereits vier Journalisten und zwei freie Mitarbeiter von Al-Dschasira getötet worden, darunter der weltbekannte Reporter Anas Al-Scharif. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten und Reporter ohne Grenzen wurden seit Beginn des Krieges im Gazastreifen rund 200 Journalisten getötet. Andere Zählungen gehen von über 270 getöteten Kollegen aus. Auch zwei israelische und sechs libanesische Journalisten wurden von Israel getötet. Israels Vernichtungskrieg in Gaza gilt als der gefährlichste Konflikt für Journalisten in der modernen Geschichte. Nach konservativen Schätzungen, berichtete der Guardian am Dienstag, seien knapp 70 Prozent aller weltweit seit dem 7. Oktober 2023 getöteten Medienschaffenden von Israel in Palästina getötet worden.
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