Deutliches Nein zur Chatkontrolle
Von Marc Bebenroth
Was zunächst wie ein klares Nein zur Durchleuchtung sämtlicher digitaler Kommunikation in der EU klingt, entpuppt sich als noch offene Frage. »Eine anlasslose Chatkontrolle ist für die Bundesregierung tabu«, erklärte ein Sprecher am Mittwoch in Berlin. Eine Einigung innerhalb des Kabinetts von Union und SPD liegt allerdings noch nicht vor. Am Juniorpartner liegt das nicht.
»Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein«, teilte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) ebenfalls am Mittwoch mit. Private Kommunikation dürfe »nie unter Generalverdacht stehen«, und der Staat dürfe die Betreiber von Chat-Apps »nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen«. Genau das versuchen KI-Kapitalisten sowie Polizei- und Geheimdienstlobby seit Jahren auf EU-Ebene durchzuboxen.
Offiziell geht es der EU-Kommission um einen »Vorschlag über Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern« aus dem Jahr 2022. Der staatliche Kampf gegen die Verbreitung von dokumentierter sexualisierter Gewalt an Minderjährigen dient als perfider Vorwand, um digitale Massenüberwachung in nie dagewesener Form einführen zu können. Die geplante Chatkontrolle würde dem Vorschlag nach auf allen Endgeräten in der EU eine automatisierte Überwachung erzwingen, sei es auf der Ebene der Betriebssysteme oder seitens der Messenger. Bei diesem »Client-Side-Scanning« durchleuchtet eine Software Nachrichten, Fotos und Videos, bevor diese – ob verschlüsselt oder nicht – verschickt werden.
Die Interpretation dieser Inhalte soll wiederum mit Datenbanken abgeglichen werden, um zu bestimmen, ob es sich um bereits bekanntes Material dokumentierter sexualisierter Gewalt an Kindern handelt. Algorithmen und Systeme künstlicher Intelligenz sollen unbekannte Materialien scannen, was eine ebenfalls automatisierte Meldung an Strafverfolgungsbehörden zur Folge haben könnte. »Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen«, teilte die Justizministerin mit. »Auch die schlimmsten Verbrechen rechtfertigen keine Preisgabe elementarer Bürgerrechte.« Darauf habe Hubig bei den Abstimmungen innerhalb der Regierung »seit Monaten beharrt«. Ihr Hauptgegner dürfte dabei das CSU-kontrollierte Innenministerium sein. Wie seine Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) gilt Alexander Dobrindt als Befürworter moderner Massenüberwachung.
Bis auf die Äußerung einer Sprecherin am Mittwoch in Berlin, wonach »wahrscheinlich« erst beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember über das Thema entschieden werde, schweigt sich das Innenministerium dazu aus. Aus der Union hatte sich zuletzt Fraktionschef Jens Spahn (CDU) gegen die geplante totale Chatüberwachung positioniert. »Das wäre so, als würde man vorsorglich mal alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist«, sagte Spahn am Dienstag in Berlin. »Das wird es mit uns nicht geben«, lautete sein Versprechen.
Im Rat der Mitgliedstaaten benötigt die geplante Chatkontrollverordnung die Zustimmung von 15 der 27 EU-Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Anfang der kommenden Woche soll sich der Rat der EU-Innenminister treffen. Dann müsste Dobrindt seine Karten wohl auf den Tisch legen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Kabinettsmitglied eigenmächtig abstimmt.
Unabhängig davon haben zwei der im Westen am meisten verbreiteten Messenger bereits erklärt, sich dafür nicht einspannen lassen zu wollen. Der Vorschlag der EU gefährde die Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller, warnte eine Sprecherin des Whats-App-Konzerns Meta gegenüber dem Portal netzpolitik.org. »Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen«, sagte Signal-Chefin Meredith Whittaker am Mittwoch dpa.
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