EU macht dicht
Von Jörg Kronauer
Weil Unternehmen aus der Europäischen Union in immer mehr strategisch wichtigen Branchen gegenüber ihrer globalen Konkurrenz in die Defensive geraten, baut die EU-Kommission für sie ökonomische Schutzmauern. Am Dienstag präsentierte EU-Handelskommissar Stéphane Séjourné neue Einfuhrzölle für Stahl. An diesem Mittwoch sollen Maßnahmen zum Schutz der einheimischen KI-Branche folgen. Und auch aus der Chemieindustrie werden schon Forderungen laut, auswärtige Rivalen mit protektionistischen Maßnahmen aus dem Binnenmarkt fernzuhalten. Stimmen die EU-Parlamentarier dem zu, drohen freilich neue Konflikte – national wie international.
Beim Stahl wird die EU besonders rabiat: Sie will das zollfreie Importkontingent auf 18 Millionen Tonnen im Jahr halbieren und die Zölle für alles, was diese Schwelle überschreitet, von heute 25 auf drastische 50 Prozent verdoppeln. Damit sollen über 85 Prozent des EU-Verbrauchs für eigene Stahlkocher reserviert werden. Diese sind darauf angewiesen, weil wegen der 50-Prozent-Stahlzölle in den USA ihre Ausfuhr dorthin kollabiert. Der EU-Rasenmähervorstoß trifft Feind wie Freund – nicht nur Stahlexporteure aus China, sondern auch solche etwa aus der Türkei und besonders hart Stahlproduzenten in Großbritannien, die bislang beinahe die Hälfte ihrer Gesamtproduktion in die EU ausführen.
Die EU-Kommission peilt einem Bericht des Handelsblatts zufolge perspektivisch einen stahlzollfreien Raum mit den Vereinigten Staaten an, dem auch Großbritannien beitreten könnte. Sie hält also prinzipiell an der transatlantischen Orientierung fest, die den über die Jahrzehnte hin gewachsenen enormen Investitionen deutscher Konzerne in den USA entspricht. Auf die neuen EU-Zölle könnten andere Staaten freilich mit Gegenmaßnahmen reagieren. Das Resultat wären neue Handelskriege. Und: Innerhalb der EU ist mit steigenden Stahlpreisen zu rechnen, weshalb etwa die krisengeschüttelte Autoindustrie sich neue Sorgen macht. Rechnete sich die Welthandelsorganisation im August für das kommende Jahr noch ein Wachstum des globalen Handelsvolumens um 1,8 Prozent aus, sind es laut Mitteilung von Dienstag nun lediglich 0,5 Prozent.
Für die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) hat die EU-Kommission ebenfalls eine neue Strategie angekündigt. Sie soll zunächst Unternehmen und Institutionen im öffentlichen Sektor dazu veranlassen, anstelle US-amerikanischer oder gar chinesischer KI-Instrumente solche aus der EU zu nutzen. Dazu will die Kommission eine Milliarde Euro aus bestehenden Fördermitteln abzweigen. Zu den acht Sektoren, die besonders gefördert werden sollen, gehört die Rüstung. Mit ihr wird übrigens auch begründet, dass die Stahlindustrie besonders geschützt werden muss: Wer im Ernstfall seine Panzer mit chinesischem Stahl bauen muss, hat ein Problem.
Inzwischen drängelt auch die Chemieindustrie, bei der schon lange die Umstellung vom billigen russischen Pipelinegas auf teures US-Flüssigerdgas negativ zu Buche schlägt. Zuletzt nahm daher der Import kostengünstiger Produkte aus China stark zu. Jetzt droht die Branche auch aus anderer Richtung unter Druck zu geraten: Der EU-Handelsdeal mit den USA senkt die Zölle auf die Einfuhr von US-Chemikalien von 6,5 Prozent auf Null. Weil die Bedeutung besonders des deutschen US-Geschäfts eine wirkliche Gegenwehr gegen Washingtons Zumutungen erheblich erschwert, gerät in der Branche der nächste Streit mit China in den Blick. Die Zeichen stehen auf Konflikt.
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