Goodbye, Globalisierung
Von Niki Uhlmann
Keine sieben Wochen erratische Wirtschaftspolitik aus US-Präsident Donald Trumps Weißem Haus hat es gebraucht, um mit Moody’s die letzte der drei großen US-amerikanischen Ratingagenturen davon zu überzeugen, die Bonität der USA niedriger zu bewerten. Die Herabstufung »von Aaa auf Aa1« spiegele »den Anstieg der Staatsverschuldung und der Zinszahlungsquoten über mehr als ein Jahrzehnt hinweg« wider, teilte Moody’s vergangenen Freitag (Ortszeit) mit. »Steigende Sozialausgaben« und »unveränderte Staatseinnahmen« würden das Defizit künftig ausweiten. Bis 2035 könnte es demnach auf neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anwachsen. Kreditaufnahmen werden die USA jedenfalls tendenziell teurer zu stehen kommen.
Die Agentur Standard & Poor’s hatte diese Korrektur schon 2011 vorgenommen, Konkurrent Fitch dann 2023, hieß es am Sonntag bei Reuters. Moody’s konkreter Anlass sei nun die »Big Beautiful Bill«, ein »umfassendes Paket« von Steuersenkungen und Sozialkürzungen. Bis zu 5,2 Billionen US-Dollar zusätzliche Verschuldung könnte es verursachen. US-Finanzminister Scott Bessent habe versucht zu beschwichtigen: Man konzentriere sich darauf, den Zinssatz auf zehnjährige Staatsanleihen zu senken. Zuletzt lag dieser tatsächlich knapp unter dem Stand von vor dem Amtsantritt des Präsidenten im Januar. »Die Experten irren sich, genauso wie sie sich über die Auswirkungen von Trumps Zöllen geirrt haben«, wies Harrison Fields, »Special Assistant« des Präsidenten, sämtliche Bedenken noch resoluter zurück.
Trump selbst fuhr am selben Wochenende auf seinem Sprachrohr Truth Social die Walmart-Kette an. Der weltgrößte Einzelhändler hatte angekündigt, die durch Zölle gestiegenen Kosten an seine Kunden weiterzureichen. »Walmart hat letztes Jahr mehrere Milliarden Dollar verdient, weit mehr als erwartet«, wetterte Trump und forderte, der Konzern solle »die Zölle fressen und die geschätzten Kunden nicht belasten«. Dagegen beteuerte Walmart, es habe die Preise stets so niedrig wie möglich gehalten. Trumps sogenannter »Liberation Day« treibt immer absurdere Blüten. Mag Moody’s nur kurzfristig mit Einbußen rechnen und das »langfristige Wirtschaftswachstum« der USA nicht »wesentlich beeinträchtigt« sehen: Vorteilhafte Industriepolitik sieht anders aus.
Dreifache Zeitenwende
Gebremste Konjunktur, hochschnellende Zinssätze auf Staatsanleihen, Steuergeschenke bei gleichzeitigen Einschnitten in Sozialsysteme und Neuverschuldung zwecks Absicherung der Handlungsfähigkeit des Staates – das alles sind Phänomene, die gegenwärtig in der BRD zu beobachten sind. Darum ist auch hierzulande die Diskussion um eine angemessene Industriepolitik entbrannt. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hat dieser Frage vergangenen Dienstag seine Jahrestagung gewidmet. Die Leitfrage lautete: »Wie sichern wir unseren Wohlstand?«
Der Handelskrieg der USA allein koste die BRD etwa 0,75 Prozentpunkte Wachstum, sei aber nur eine von drei geopolitischen Herausforderungen, die Deutschland bewältigen müsse, konstatierte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK. Problem zwei bestehe darin, dass »Russland kein verlässlicher Handelspartner mehr ist«. Drittens reagiere China auf die »Systemkonkurrenz« aus den USA und ihren Vorhöfen schon seit zehn Jahren erfolgreich mit der Strategie »Made in China 2025«. Schon seit 2006 sinkt dort der kumulierte Wert aller Importe und Exporte in Relation zum BIP.
Inzwischen setze die Volksrepublik auf »strategische Unabhängigkeit«, habe andere Industrienationen auf dem heimischen Markt »verdrängt« und sei »Konkurrentin auf Drittmärkten« geworden. Das Resultat: Die BRD »ist vierfach getroffen«: bei den Energieimporten, den vormals »niedrigen Verteidigungsausgaben« und beim Export sowie dessen Produktportfolio. Ohne »kreditfinanzierte Investitionsprogramme« gehe es weiter bergab, resümierte Dullien.
Zeitgleich müsse von staatlicher wie von unternehmerischer Seite aus zwischen »der Effizienz der Spezialisierung« und »ökonomischer Sicherheit« abgewogen werden, folgerte Dalia Marin, Volkswirtin an der Technischen Universität München, aus der rückläufigen Globalisierung. Roboter begünstigten heute die »Rückverlagerung« industrieller Prozesse, produzierten mitunter effizienter als Billiglöhner im Ausland. Eine »vertikale Integration«, dass Konzerne wieder längere Wertschöpfungsketten unter eigener Regie betreiben würden, sei bereits heute zu beobachten, »besonders bei vorgelagerten Industrien«, auf deren Produkte nicht verzichtet werden könne. Ganz im Zeichen dieses Protektionismus hat China am Montag höhere Zölle auf Plastik aus der EU und den USA erlassen.
Wer bei der Kapitalkonzentration nicht mitmache, fuhr Marin fort, gerate in Abhängigkeit von anderen Staaten, unter »geoökonomischen Zwang«. Marin warb darum dafür, das chinesische Modell zu kopieren: »Deutschland braucht ausländische Direktinvestitionen als Technologietransfer.« Letzteren müsste kluge Industriepolitik in Form von Joint Ventures als Voraussetzungen für den Zugang zum deutschen oder EU-Markt forcieren. Dabei sollen zudem Fachkräfte angeworben werden, bei denen man abkupfern kann.
Rheinischer Stamokap
Der »China-Schock«, wie Marin ihn nannte, dürfe der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi zufolge aber nicht dazu führen, dass »unsere Werte« über den Haufen geworfen werden: »Wir müssen beweisen, dass dieses System besser funktioniert.« Wachstum allein tauge nicht als Kriterium der Industriepolitik. »Bezahlbare Daseinsvorsorge« und »klimafreundlicher Umbau«, die »Baustellen« bei Infrastruktur, Pflege und Bildung, müssten bei der Stärkung der Binnennachfrage mitgedacht werden. Andernfalls gehe der »gesellschaftliche Zusammenhalt« verloren. Der Finanzierungsbedarf sei also weitaus größer als 600 Milliarden Euro.
Diese Kosten könne die Regierung nicht decken, indem sie »Konsolidierung als Daueraufgabe« ausgibt und im öffentlichen Dienst wie im Sozialhaushalt kürzt, bis der Arzt kommt. Geboten wäre letztlich, die Einnahmeseite zu fokussieren, warb Fahimi für eine »grundsätzliche Reform der Schuldenbremse« sowie der Erbschafts- und Vermögenssteuer. Fraglich sei nur: »Wie kriegen wir das planungstechnisch hin?«
Die BRD brauche die EU, stellte Julia Eder von der Arbeiterkammer Wien fest. Diese müsse wiederum durch »Imitation und Verbesserung« von China lernen, stimmte sie Marin zu. Würden öffentliche Aufträge und Subventionen konsequent an Gewinnbeteiligungen und Preiskontrollen geknüpft, könnten regionale Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Nur käme dabei die Welthandelsorganisation in die Quere, die genau solche Maßnahmen auf Drängen der USA und EU verboten hatte, als Prozesse noch in Billiglohnländer ausgelagert wurden.
Ein weiterer Hebel für einen regeren EU-Binnenmarkt wären »Kaufprämien für lokale Produkte«, ergänzte Sander Tordoir, Chefvolkswirt der einflussreichen Denkfabrik Centre for European Reform. Marin wendete ein, dass man bei »zusätzlichen Bedingungen für Ansiedlungen« sehr vorsichtig sein müsse, wenn man das internationale Kapital nicht abschrecken wolle. Sozial-ökologische Kriterien seien weitaus besser vermittelbar als Technologietransfer, hielt Dullien dagegen. Der optimale Mix muss offenbar noch gefunden werden.
Ebenso müssen die Schlüsselindustrien identifiziert werden. Die Europäische Investitionsbank wolle bis 2027 etwa 70 Milliarden Euro für den Aufbau von Kapazitäten bei künstlicher Intelligenz und Halbleiterfertigung mobilisieren, teilte Reuters am Sonnabend mit. Durch Spitzentechnologie würden allerdings nur »wenige gute Jobs« geschaffen, wusste Tordoir. Wettbewerbsfähig und steuerlich lukrativ sei eher »Mid-Tech-Industrie« in der EU, an der weder die USA noch China in absehbarer Zukunft vorbeikämen. Eder warb etwa für die Bahnindustrie, die im »Schatten der Autoindustrie« stehe, sich aber aufgrund ökologischer Innovationsimpulse anbiete.
Gretchenfrage dieser Debatte ist und bleibt die Rüstung. Russlands Kriegswirtschaft laufe auf Hochtouren, stellte der Ökonom Guntram Wolff von der Freien Universität Brüssel nüchtern fest. Die EU müsse gleichziehen, zumal auf die USA weniger Verlass sei, warnte er. An deren Forschungsagentur des Verteidigungsministeriums, der DARPA, solle die EU sich orientieren, gebot Marin, die kaum erwarten konnte, dass die Bundesagentur für Sprunginnovationen der BRD näher an die Rüstungsindustrie rückt. Entgegen der landläufigen Einordnung von Rüstungsausgaben als Investitionen müssten sie als »öffentlicher Konsum« gewertet werden, der zwar Nachfrage, aber langfristig »kaum Angebotszuwachs« schaffe, kritisierte Dullien. Wolle man Wachstum, wäre das Geld in anderen Branchen besser aufgehoben.
Hintergrund: Marktwirtschaft ohne Plan
Auf der Jahrestagung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung widmeten sich Ökonomen am vergangenen Dienstag der Frage, welche Industriepolitik den Reichtum der BRD künftig sichern könne. Unterschieden wurden dabei »horizontale« und »vertikale Industriepolitik«. Erstere ist seit Jahren der industriepolitische Modus westlicher Imperien, letztere jener Chinas. Einhellig wurde festgestellt, dass das chinesische Modell überlegen sei, BRD und EU sich davon eine Scheibe abschneiden sollten.
Horizontale Industriepolitik setzt im Kern auf die Konkurrenz am Markt. Würden wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, etwa geringe Lohnkosten, solide Infrastruktur, qualifizierende Bildung, subventionierte Forschung oder innovationsfreundliche Rechtsnormen, geschaffen, täten sich international wettbewerbsfähige Einzelkapitale hervor, die Ressourcen ohnehin besser allokieren könnten als der Staat, lautet die Grundannahme. Gezielte Eingriffe zugunsten einzelner Branchen werden gemieden. In der BRD war Industriepolitik selbst noch 2019 verschrien, wie der Zeitschrift Wirtschaftsdienst zu entnehmen ist: »Zu sehr wird der Begriff mit wirkungslosen staatlichen Stützungsversuchen, marktferner Wirtschaftslenkung und politisch motivierten Projekten verbunden.«
Vertikale Industriepolitik setzt hingegen auf eine gezielte Förderung von Branchen, Technologien oder gar einzelnen Konzernen, die als zukunftsträchtig oder strategisch wichtig angesehen werden. Dafür kommen Subventionen oder Förderprogramme, direkte staatliche Beteiligungen und Schutzmaßnahmen gegen die ausländische Konkurrenz wie Einfuhrbeschränkungen zum Einsatz. Wettbewerbsverzerrungen werden in Kauf genommen. Ein aktuelles Beispiel ist Chinas industriepolitische Strategie »Made in China 2025«. Vor zehn Jahren wurde sie laut dem Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington, D. C., als »Initiative zur umfassenden Aufwertung der chinesischen Industrie« in Anlehnung an die deutsche Industrie 4.0 konzipiert. Heute macht China rund 34 Prozent der industriellen Weltproduktion aus und hat in Hochtechnologiebranchen wie Batterieproduktion oder E-Mobilität weltmarktführende Konzerne vorzuweisen.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD fanden nebst horizontalen industriepolitischen Maßnahmen wie der Senkung des Strompreises auch vertikale Maßnahmen Eingang. Definiert werden dort Schlüsselindustrien, die im Rahmen einer »Hightechagenda« besonders gefördert werden sollen – darunter künstliche Intelligenz, Biotechnologie und klimaneutrale Energieerzeugung sowie Mobilität. Ob und wie der Regierung in vier Jahren ein großer Wurf gelingen wird, bleibt abzuwarten. (nu)
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