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Aus: Ausgabe vom 01.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
EU-Repressionsbetrieb

Schmutzige Bomben

Der EU-Apparat bekämpft kritische Medien mit allen Mitteln – sogar mit rechten Fake-News-Fabriken
Von Susann Witt-Stahl
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Der Russe als Ungetüm. So illustriert eine Propagandaabteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes der EU einen mit schlagendem Titel versehenen Artikel (Screenshot)

Zur Militarisierung einer Gesellschaft gehört die Ausschaltung politischer Feinde. Seit Deutschland als wirtschaftsstärkste Nation alles unternimmt, um sich als führende Kriegsmacht der EU zu eta­blieren, und hinter den USA wichtigster Komplize Israels bei der ethnischen Säuberung Gazas und des Westjordanlands ist, geht ein neues Schreckgespenst um – »hybride Bedrohung«. Wenig überraschend: Sie soll von Journalisten ausgehen, die in Opposition zu Hochrüstung und Imperialismus stehen. Alarmierend ist dabei, dass diese Feindbestimmung unter Umgehung des Rechtsstaats vorgenommen wird – ohne solide Beweise, Anklage und Gericht.

Der Gründer der internationalistischen Videoplattform Red Media, Hüseyin Doğru, wird von einer ausgeklügelten EU-Apparatur zur Unterminierung der in Deutschland grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit in die Mangel genommen, die im vergangenen Jahrzehnt sukzessive ausgebaut worden ist. Das Ergebnis: Er wurde am 20. Mai 2025 auf die EU-Sanktionsliste gesetzt und beruflich, ökonomisch und sozial kaltgestellt¹, nachdem Red Media im jährlichen Report über »ausländische Informationsmanipulation und Einmischung« (FIMI) als »staatlich kontrollierter Medienkanal«, der Desinformation verbreite, aufgeführt worden war. Belege dafür wurden nicht erbracht.

Deutsche Gründlichkeit

»Das angewendete Verfahren stützt sich auf ein undurchsichtiges Zusammenspiel zwischen den nachrichtendienstähnlichen Berichten des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS; deutsch: EAD, jW) und dem Ermessensspielraum der EU-Kommission«, beschreibt Doğru eine Informationspolitik, die unter dem Vorsitz von Ursula von der Leyen mit deutscher Gründlichkeit in Willkür übersetzt wird. »Die FIMI-Definition ermöglicht es Sicherheitsbehörden, Inhalte oder Akteure nicht aufgrund von Unrechtmäßigkeit, sondern aufgrund der ihr unterstellten Absicht, ihres Tons oder Assoziationen als Bedrohung einzustufen.« Die BSW-Politikerin Sevim Dağdelen meint, »die EU agiert mittlerweile wie eine Despotie«.

Bemerkenswert ist, dass eine wichtige Schaltstelle des EU-Repressionsgetriebes gegen unliebsame Medienvertreter mit einer Vertrauten von Ursula von der Leyen besetzt ist: Benedikta von Seherr-Thoß ist als Direktorin der Abteilung Peace, Security and Defence des EAD für »hybride Bedrohungen« zuständig. Sie hatte früher bei der NATO und ab 2018 für zwei Jahre als politische Beraterin von der Leyens gearbeitet, als diese Bundesverteidigungsministerin war.

Die EU pumpt Unsummen in Projekte für die »Abwehr hybrider Bedrohungen«, in die auch zunehmend Einrichtungen der Bundeswehr und der deutschen Polizei eingebunden sind. Dabei würden die Medienöffentlichkeit als »Schlachtfeld und Wörter und Ideen als Waffen« betrachtet, meint Clare Daly, Exmitglied des EU-Parlaments und des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Daly warnt auch vor dubiosen »Faktencheckern«, mit denen EU-In­stitutionen immer enger zusammenarbeiten.

Das gilt für die von kritischen EU-Parlamentariern »Wahrheitsministerium« genannte Antidesinformationseinheit East Stratcom Task Force, die bis 2024 mit Lutz Güllner ebenfalls ein Deutscher geleitet hat (der Nachfolger wurde bisher nicht öffentlich bekanntgegeben). Ihr Monitoringprojekt »EU vs Disinfo« wurde von Jakub Kalenský, einem zeitweiligen Mitarbeiter des Atlantic Council, einer der mächtigsten Lobbyorganisationen des militärisch-industriellen Komplexes der USA mit großem Einfluss auf die Ukraine-Politik, gegründet.

Banderas Influencer

»EU vs Disinfo« führt eine Datenbank mit gegenwärtig rund 19.500 Einträgen. Atemberaubend ist, welche offenkundigen Fakten – neben tatsächlich falschen Meldungen – kurzerhand als »Desinformation« gelistet werden: etwa, dass russische Medien von zum Teil staatlich finanzierten deutschen Medien diskreditiert werden. Beim Thema Ukraine-Krieg dreht der EU-Wahrheitsmotor völlig frei: »Die ­Ukraine setzt Nazis offen in ihrer Armee ein«, und »Nazigruppen haben 2014 den Brand im Gewerkschaftshaus in Odessa organisiert« – unzählige solcher erwiesenen Tatsachenbehauptungen, die allein durch die bloße Existenz der faschistischen Heerscharen von Asow und Co. sowie durch Forschung von Wissenschaftlern wie Ivan Katchanovski bestätigt werden, bewertet »EU vs Disinfo« als Fake News. Es werden sogar Erkenntnisse der Historiographie des Holocausts und des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion geleugnet: beispielsweise, dass die Organisation Ukrainischer Nationalisten sowie der Führer und dessen Stellvertreter ihres radikalen Flügels (OUN-B), Stepan Bandera und Jaroslaw Stezko, Faschisten waren und mit Hitlerdeutschland kollaboriert hatten.

Kein Wunder: Als Beweisquellen werden häufig das von der US-Regierung finanzierte Radio Free Europe/Radio Liberty, Radio Swoboda und andere abhängige Kriegspropagandakanäle sowie der Rüstungsindustrie nahestehende Denkfabriken wie Atlantic Council und Center for Strategic and International Studies herangezogen. Darüber hinaus stützt sich »EU vs Disinfo« auf Pro-NATO-Kampagnenmedien, zum Beispiel auf Bild aus dem Springer-Konzern. Mit vielen Links verweist »EU vs Disinfo« auch einfach nur auf eigene Recherchen mit vielfach abenteuerlichen und widersprüchlichen Behauptungen, einige präsentierte »Beweise« beweisen einfach gar nichts.

Unter den Faktencheckern, auf die sich das EU-Wahrheitsregime beruft, finden sich neben dem etwa wegen handwerklicher Mängel umstrittenen deutschen Medienunternehmen Correctiv sogar Influencer aus dem ultrarechten Lager: Das in der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie entstandene Netzwerk Stopfake.org, das unter anderem vom tschechischen Außenministerium finanziert wird, sich als »Partner« von »EU vs Disinfo« vorstellt und in FIMI-Reports des Auswärtigen Dienstes als Quellenlieferant genannt wird, gehört zur Bandera-Lobby – zu Kreisen, die das Minsk-II-Friedensabkommen erbittert bekämpft haben. Bereits vor Jahren hatten die Investigativreporter Oleksij Kuzmenko und Moss Robeson enthüllt, dass Stopfake-Mitarbeiter Marko Suprun nicht nur enge Verbindungen zur OUN-B, sondern auch zu militanten Faschistenszenen unterhält, etwa zur Neonazischlägergang »C 14« und zum »Rechten Sektor«. Und so versuchte Stopfake.org, Banderisten wie den jüngst ermordeten ehemaligen Werchowna-Rada-Präsidenten Andrij Parubij² weißzuwaschen – mit Schutzbehauptungen, die die EU-Desinformationsabwehr einfach übernommen hat.

Die EU-Wahrheitskrieger verzichten auch nicht darauf, sich selbst der Lüge zu strafen. So ordnet »EU vs Disinfo« die Aussage russischer Politiker und Medien »Europa gibt vor, dass Russen Untermenschen sind« als »Desinformation« ein – während es eigene redaktionelle Beiträge mit von nazistischer Hassideologie inspirierten Illustrationen schmückt: Beispielsweise findet sich unter dem »EU vs Disinfo«-Artikel »Zur Erinnerung: Russland will Krieg, nicht Frieden« ein Bild von einem Höhlenbewohner mit Reißzähnen vor einem blutverschmierten Peace-Symbol, der eine Pelzmütze mit der Nationalfahne der Russischen Föderation trägt.

»Wir sind die Guten«

In dieses groteske Setting fügt sich die »Beweisführung« der EU-Behörden in der Causa Hüseyin Doğru ein: Laut dem Journalisten finden sich in dem Material, das ihn der Verbreitung von »Falschinformationen« und damit der Unterstützung von die Sicherheit Europas bedrohenden hybriden Aktionen Moskaus überführen soll, Posts mit Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Darunter eine Feststellung, die für das US-Außenministerium unbestreitbar ist: »Der Ukraine-Konflikt ist ein Stellvertreterkrieg.« Ferner enthält das EU-Beweispaket gegen Doğru eine von ihm veröffentlichte angebliche »Desinformation«, die in Wirklichkeit eine historische Tatsache ist, die kein Geschichtswissenschaftler jemals in Frage gestellt und nicht einmal die Bundeszentrale für politische Bildung angezweifelt hat: dass Exgeneräle der Naziwehrmacht später hohe Ränge in der NATO bekleidet haben.

Von der deutschen Vergangenheit bis zu den Breaking World News – unter dem Kommando Berlins klittert die EU-Informationskriegsmaschine mit wachsender Aggressivität alles, was der strahlenden Zukunft eines Waffengangs gegen den Erzfeind im Osten im Wege sein könnte, zur »strategischen Kommunikation« mit schmutzigen Bomben aus verzerrten Fakten, veritablen (Geschichts-)Fälschungen und Aberwitz. »Schließlich sind wir die Guten«, so Clare Daly. »Wenn wir es tun, ist es keine Propaganda.«

Anmerkungen

1 jungewelt.de/artikel/502871.russland-sanktionen-der-feind-im-inneren.html

2 jungewelt.de/artikel/507733.faschisten-in-der-ukraine-der-killerpate.html

Hintergrund: Informationskrieg der EU

Bereits 2015 hatte die EU den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik unterstellt ist, mit der Bekämpfung von Desinformation beauftragt. Im Zuge der Eskalation des Ukraine-Konflikts wurde die East Stratcom Task Force eingerichtet, die im engen Austausch mit dem NATO Strategic Communication Centre of Excellence steht, Falschmeldungen und Desinformation identifiziert und das Projekt »EU vs Disinfo« betreibt. Dieses führt eine Datenbank mit »kremlfreundlicher Desinformation«, schult Journalisten und Faktencheckerunternehmen und stellt ihnen Recherchematerial zur Verfügung. Bestand die Kernaufgabe der Task Force ursprünglich darin, ausländische Propaganda ins Visier zu nehmen, fokussiert sie in wachsendem Maß auf Akteure innerhalb der EU-Grenzen, die angeblich deren Megafone bilden. 2018 militarisierte die EU ihre Informationspolitik und kategorisierte mutmaßliche Desinformation gleichrangig mit Cyberangriffen und Infrastruktursabotage als »hybride Bedrohung« und damit faktisch als Waffe.

Im Jahr des Beginns der russischen Invasion in die ­Ukraine schließlich wurden die Schleusen für die Verfolgung kritischer Journalisten, aber auch anderer unerwünschter Elemente in EU-Ländern geöffnet: »Nichtstaatliche Akteure« und »inländische Stellvertreter/Verbündete«, die beschuldigt werden, im Sinne von feindlich gesinnten Mächten »die Grenze zwischen ausländischer und inländischer Einmischung zu verwischen«. Ebenfalls 2022 ermöglichte die Kommission von der Leyen I mit dem Gesetz über digitale Dienste (DSA), das angeblich ein sicheres und vertrauenswürdiges Onlineumfeld schaffen und Internetmonopolisten in die Schranken weisen soll, per­spektivisch den Informationsnotstand und Zensurstaat auszurufen. Es wurde auch der vom EAD etablierte Begriff der »Foreign Information Manipulation and Interference« (FIMI) übernommen, der als »meist nicht illegales Verhaltensmuster, das Werte, Verfahren und politische Prozesse bedroht oder negativ beeinflussen kann«, mit »manipulativem Charakter, durchgeführt in intentionaler und koordinierter Weise« definiert wird. Die Akteure können staatlich oder nichtstaatlich sein, einschließlich Stellvertreter. 2024 verschaffte sich die EU-Kommission mit der Verordnung Nr. 2024/2642 und dem Beschluss Nr. 2024/2643 des Rates das nötige Repressionswerkzeug, unter anderem zur Abwehr »hybrider Aktivitäten« und von Verhalten, das »die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit oder die Sicherheit in der Union untergräbt oder bedroht«, durch Verhängung von Sanktionen – auch gegen EU-Bürger. (sws)

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