Rude Girl forever
Von Nick Brauns
Sie ist die Queen of Ska: Pauline Black trat am Donnerstag abend im SO 36 in Berlin-Kreuzberg mit ihrer Band The Selecter auf. Doch bevor das Tanzbein geschwungen wurde, bot die Sängerin mit dem Dokumentarfilm »Pauline Black: A 2-Tone Story« einen Einblick in ihr Leben und ein prägendes Kapitel britischer Musikgeschichte.
1953 in Romford in Essex als Kind einer jüdischen Britin und eines nigerianischen Studenten geboren, wurde Pauline als Baby von einer weißen Arbeiterfamilie adoptiert. Belinda Vickers, wie sie noch hieß, wuchs in der Kleinstadt als einzige Schwarze auf, die Adoptiveltern betrachteten das Mädchen als ihr »koloniales Projekt«. Als sie nach einem sexuellen Übergriff durch einen Familienfreund keinen Rückhalt findet, ist das Vertrauen gänzlich verschwunden: »Ich musste mir eine neue Familie suchen«, so Pauline, die 1971 zum Studium nach Coventry ging.
Das bei Luftangriffen zerstörte Zentrum der britischen Autoindustrie war nach dem Zweiten Weltkrieg mit Arbeitsmigranten aus der Karibik neu aufgebaut worden. Aus Belinda Vickers, die in der multikulturellen Stadt als Musikerin in Pubs auftrat, wurde hier Pauline Black – eben »Black by Design«, so der Titel ihrer Autobiographie. Während sich Premierministerin Margaret Thatcher ab 1979 anschickte, die Gewerkschaftsbewegung zu zerschlagen und Rassismus grassierte, entstand in Coventry aus den tanzbaren Ska- und Reggae-Rhythmen der schwarzen Einwanderer und der wütenden Energie des Punk der weißen Arbeiterjugend »2-Tone«. Der Name steht für ein Plattenlabel, eine Musikrichtung und eine antirassistische Bewegung schwarzer und weißer Musiker gemeinsam mit Bands wie The Selecter, The Specials, Madness, The Beat, Bad Manners und Bodysnatchers.
Nach Film und kurzer Fragerunde dann das Konzert: Eine energiegeladene Pauline Black – wie gewohnt im Anzug mit ikonischem Porkpie-Hut – heizt den vielfach bereits deutlich über 50jährigen mit Harrington-Jacken, Fred-Perry-Shirts und Doc-Martens-Stiefeln uniformierten Rude Boys und Rude Girls ein, wie 1979. Von der ursprünglichen Besetzung des 1982 aufgelösten und später wieder gegründeten Selecter ist außer ihr noch Drummer Charley Aitch Bembridge dabei. Sänger Arthur Gaps Hendrickson verstarb im vergangenen Jahr. Die aktuellen Musiker sind gut – als Begleitband für eine überragende Pauline Black als Frontfrau.
Die Band spielt die frühen Hits von »On the Radio« über »Three Minute Hero« bis zu »Too Much Pressure«, auch Lieder des 2023 erschienenen Albums »Human Algebra«. »Celebrate the Bullet« hatte die BBC 1981 verboten, obwohl in dem Song dazu aufgerufen wird, keine Rache für einen Mord zu nehmen. Und gerade sei ja ein junger Mann in den USA erschossen worden, so Black einleitend – gemeint war der rassistische Hetzer Charlie Kirk.
Edwin Starrs Antivietnamkriegslied »War (What Is It Good For?)« von 1970 beendet Black mit einem »Free Palestine«. Den Abend beschloss die Hymne der 2-Tone-Bewegung – Prince Busters »Madness«: »Madness, madness, I call it gladness.«
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