Weimers Sorgen
Von Niki Uhlmann
Kolonisatoren sind schlecht – und darum immer die anderen. Die jüngste Farce in dieser Hinsicht gab Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Donnerstag abend anlässlich der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals Berlin, als er China und den USA einen »Raubzug« durch den »literarischen Bestand der gesamten westlichen Welt« mittels künstlicher Intelligenz (KI) vorwarf, den er als eine »Art kolonialistischen Vorgehens« empfinde.
Kulturpolitisch mag er da einen Nerv treffen. Definitiv verantworten Techkonzerne, deren KI systematisch das Urheberrecht unterwandern, eine kritikable Schweinerei. Letztere, die dreiste Aneignung »unserer Wiesen der blauen Blumen«, wie Weimer sie nationalistisch angehaucht fasste, auf eine Ebene mit dem Elend etwa des deutschen Genozids an den Herero und Nama oder der anhaltenden Unterordnung ganzer Völker durch Dauerverschuldung stellen zu wollen, ist aber eine geschichtspolitische Bankrotterklärung. Dem applaudierenden Publikum ist sie offenbar entgangen. Diesen Diebstahl, gelobte Weimer um so entschlossener, werden »Deutschland und Europa so nicht mitmachen« – im Gegensatz zu sechs Jahrhunderten brutaler Kolonialherrschaft, wohlgemerkt.
Angesichts der »verloren Eigentlichkeit« der künstlich absorbierten Werke und der »verlorenen Geborgenheit«, die »Freunde der Literatur« einst in ihnen fanden, sei die gute Nachricht immerhin, dass Maschinen »nicht atmen« können. Besser wäre angesichts solchen gleichermaßen unpoetischen wie geschichtsvergessenen Geseiers wohl, Weimer täte es der KI gleich und hielte die Luft an. Am besten aber wäre, er müsste für jede gedroschene Phrase 50 Cent in ein Sparschwein stecken. Dann wäre die deutsche Kulturlandschaft alsbald ausfinanziert – und Weimers Konto ebenso leer wie sein Kopf.
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