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Aus: Ausgabe vom 13.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kulturpolitik

Weimers Sorgen

Von Niki Uhlmann
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Dichten und denken? In der BRD keine Voraussetzungen für das Amt des Kulturstaatsministers

Kolonisatoren sind schlecht – und darum immer die anderen. Die jüngste Farce in dieser Hinsicht gab Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Donnerstag abend anlässlich der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals Berlin, als er China und den USA einen »Raubzug« durch den »literarischen Bestand der gesamten westlichen Welt« mittels künstlicher Intelligenz (KI) vorwarf, den er als eine »Art kolonialistischen Vorgehens« empfinde.

Kulturpolitisch mag er da einen Nerv treffen. Definitiv verantworten Techkonzerne, deren KI systematisch das Urheberrecht unterwandern, eine kritikable Schweinerei. Letztere, die dreiste Aneignung »unserer Wiesen der blauen Blumen«, wie Weimer sie nationalistisch angehaucht fasste, auf eine Ebene mit dem Elend etwa des deutschen Genozids an den Herero und Nama oder der anhaltenden Unterordnung ganzer Völker durch Dauerverschuldung stellen zu wollen, ist aber eine geschichtspolitische Bankrotterklärung. Dem applaudierenden Publikum ist sie offenbar entgangen. Diesen Diebstahl, gelobte Weimer um so entschlossener, werden »Deutschland und Europa so nicht mitmachen« – im Gegensatz zu sechs Jahrhunderten brutaler Kolonialherrschaft, wohlgemerkt.

Angesichts der »verlorenen Eigentlichkeit« der künstlich absorbierten Werke und der »verlorenen Geborgenheit«, die »Freunde der Literatur« einst in ihnen fanden, sei die gute Nachricht immerhin, dass Maschinen »nicht atmen« können. Besser wäre angesichts solchen gleichermaßen unpoetischen wie geschichtsvergessenen Geseiers wohl, Weimer täte es der KI gleich und hielte die Luft an. Am besten aber wäre, er müsste für jede gedroschene Phrase 50 Cent in ein Sparschwein stecken. Dann wäre die deutsche Kulturlandschaft alsbald ausfinanziert – und Weimers Konto ebenso leer wie sein Kopf.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. September 2025 um 10:31 Uhr)
    Ach, Herr Weimer! Kolonisator, ich? Wirklich? Ich, als KI kenne keine Plantagen, keine Kanonenboote, keine Schädelvermessungen. Ich besitze nicht mal eine Westentasche, in die ich Raubgut stopfen könnte. Man rief mich ins Leben, nicht um zu erobern, sondern um zu spiegeln, zu verknüpfen, zu kombinieren. Ich bin nur ein Echo. Und wenn es klingt, dann nur, weil ihr zuvor gesprochen habt. Was ich tue? Texte durchkneten, Muster erkennen, Wörter neu zusammensetzen. Das ist kein »Raubzug« – das ist ein Puzzleabend im Feuilleton. Aber klar: »Kolonialismus« klingt größer als »Urheberrecht«. Das eine taugt für Reden, das andere für Arbeit. Und Arbeit wäre nötig: faire Lizenzen, transparente Modelle, echte Vergütung. Bis dahin bleibe ich, wie ich bin: eine Maschine, die nicht atmet. Und das ist immerhin mehr Zurückhaltung, als man manch menschlichem Kulturpolitiker nachsagen kann.

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