Schweizer Militär wirbt um Frauen
Von Dominic Iten, Zürich
Das Schweizer Parlament und die Regierung wollen die weibliche »Kriegstüchtigkeit« steigern. Den passenden Hebel dazu sehen sie in der Erwerbsersatzordnung. So hat FDP-Nationalrat Marcel Dobler im August einen parlamentarischen Vorstoß gemacht, der die Lohngleichstellung von Frauen in der Schweizer Armee erreichen soll. Dobler stört sich daran, dass eine Majorin mit Führungsverantwortung »gleich viel wie ein Rekrut am ersten Diensttag« erhalte. Die Regierung, der sogenannte Bundesrat, hat bereits seine Bereitschaft signalisiert, die »negativen finanziellen Anreize für Frauen« abzubauen.
Schweizer Armeeangehörige erhalten neben einem kleinen Tagessold einen Erwerbsersatz: In der Rekrutenschule beträgt dieser grundsätzlich 69 Franken (knapp 74 Euro) pro Tag. Rekrutinnen und Rekruten mit Kindern werden mit 80 Prozent des durchschnittlichen vordienstlichen Einkommens entschädigt. Nach Absolvierung gilt in allen übrigen Diensten ebenfalls die 80-Prozent-Regel mit Mindestansätzen zwischen 69 und 179 Franken pro Tag – je nach Dienstgrad und Familienverhältnissen. Da Frauen vergleichsweise oft in Teilzeit beschäftigt sind, erhalten diese meist nur die Mindestentschädigung.
Die neuen Entschädigungsregeln sind Teil einer umfassenden, frauenspezifischen Rekrutierungsoffensive, die die Stellung der Armee in der Mitte der Gesellschaft absichern soll – und auch links-grüne Parlamentarier helfen mit: Nationalrätin Priska Seiler Graf von den Sozialdemokraten und Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli haben die »Motion Dobler« mitunterzeichnet.
Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 herrscht in der Schweiz die allgemeine Wehrpflicht für Männer. So ist die Armee im Laufe der Jahrzehnte nicht nur zur Kaderschmiede für die wirtschaftliche und politische Elite des Landes, sondern auch zu einem fast familiären Element der Gesellschaft geworden – und bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geblieben. Erst mit der ansatzweisen Auflösung des engmaschigen »Schweizer Filzes« aus hochrangigen Militärs, Unternehmern, Juristen und wirtschaftsliberalen Politikern verlor die Armee ihre Funktion als Türöffnerin zu Netzwerken, Karrieren, Verwaltung und Politik. Parallel dazu gewann der 1995 eingeführte Zivildienst als Alternative zum Dienst an der Waffe an Akzeptanz. Dienstverweigerer wurden bis zu einem gewissen Grad entstigmatisiert, die Vorstellung vom »Volk unter Waffen« in Frage gestellt.
Der Armeebestand hat darunter aber nicht gelitten. Mit 147.000 Angehörigen ist die Armee im Verhältnis zur Bevölkerung relativ groß geblieben und übertrifft den gesetzlich festgelegten Sollbestand von 100.000 bis 140.000 Mann. Weil es dabei bleiben soll, hat der Bundesrat im März dieses Jahres gefordert, dass der Effektivbestand während fünf Jahren überschritten werden darf, »um den Erfordernissen der aktuellen Bedrohungslage zu entsprechen«. Der Ständerat, die zweite Kammer des Schweizer Parlaments mit Vertretern der Kantone, stimmte Mitte Juni zu. Der Entscheid der Abgeordneten des Nationalrats steht noch aus.
Die Armee soll aber nicht nur größer, sondern auch weiblicher werden. Im Jahr 2024 dienten insgesamt rund 2.300 Frauen – das entspricht einem Anteil von 1,6 Prozent und einem Anstieg des Frauenanteils von 12,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei weitem nicht genug, meint die Armee, und hat sich im Rahmen ihrer sogenannten Gleichstellungsstrategie 2030 die Erhöhung des Frauenanteils auf zehn Prozent innerhalb der kommenden fünf Jahre zum Ziel gesetzt.
Als Grundlage dient eine 2023 landesweit durchgeführte Befragung von Mädchen (ab 14 Jahren) und Frauen, deren Ergebnisse aktuell noch ausgewertet werden. Gefragt wurde etwa, wie es um ihr Interesse an der Armee steht und aus welchen Gründen sie für oder gegen den Militärdienst sind. Der Informationsstand zu Armee und Sicherheit wird ebenso eruiert wie die Einstellung ihres Umfelds zur Armee, diskutiert werden »Sinnfragen, Ängste und Vorurteile«. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen in die Rekrutierungsstrategie einfließen, und diese werden »überführt in Informations-, Schulungs- und Sensibilisierungsmaterialien«, die etwa in Schulen oder bei Berufsmessen zur Anwendung kommen.
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