Ade, Pazifismus
Von Dominic Iten, Zürich
Man hat sich daran gewöhnt, dass das Programm der Sozialdemokraten radikaler ist als deren Praxis. So mag sich im politischen Alltagsgeschäft kaum einer von ihnen mit der Abschaffung der Schweizer Armee befassen, wie es das Parteiprogramm der Schweizer Sozialdemokraten (SP) vorschreibt – und doch würde die Streichung dieser Idee einen Tabubruch bedeuten. Genau darauf arbeitet der rechte Flügel der SP seit Jahren hin. Nun hat er einen neuen Anlauf genommen, die Partei »armeefreundlicher« aufzustellen.
Die SP solle sich von ihrer »antimilitaristischen Position« verabschieden und zur Armee bekennen, meint Oberstleutnant und Parteimitglied Daniel Jositsch, führender Kopf des sogenannten Reformflügels. Das Ziel, die Armee abzuschaffen, sei »angesichts der Kriege auf der Welt völlig aus der Zeit gefallen«. Eine »glaubwürdige Sicherheitspolitik« bedeute, zur Armee zu stehen. Im Parteiprogramm solle festgehalten werden, dass die Voraussetzungen für Abrüstung nicht länger gegeben seien. Im Gegenteil: Angesichts der geopolitischen Lage sei eine »massive Aufrüstung« der demokratischen Staaten angezeigt. Bereits 2018 hatte sich der »Reformflügel« um Jositsch entgegen der offiziellen Parteiposition für die Beschaffung neuer Kampfjets stark gemacht.
Das klare Bekenntnis des rechten Flügels vor rund acht Jahren liest sich heute wie eine Vorwegnahme der »Zeitenwende«: Ein klares Bekenntnis zur Armee, vor allem zur »Stärkung der Neutralität und der unabhängigen Position der Schweiz«, gezielte Investitionen in die Ausbildung, Steigerung der Attraktivität des Militärdienstes auch für Frauen. Mit dem Krieg in der Ukraine haben diese Positionen an Kraft gewonnen. Als Regierungspartei, betonte der rechte Flügel im Juni, habe die SP »Verantwortung« zu übernehmen und »sich zur Landesverteidigung« zu »bekennen«. Eine der Verfechterinnen ist SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf. Sie erklärt gegenüber der NZZ, dass es ihre Arbeit erleichtern würde, wenn der Abschaffungspassus endlich gestrichen wäre.
Ihr werde »in Parlamentsdebatten, in Interviews oder auf Podien« regelmäßig vorgeworfen, eine Armeegegnerin zu sein. Immer müsse sie um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen, damit etwa ihre »Kritik an der milliardenschweren Beschaffung der F-35-Kampfjets ernst genommen« werde. Die Politikerin ließ sich jüngst für ein Porträt des Klatschblatts Schweizer Illustrierte vor der Statue der Hedwig ab Burghalden ablichten – jener legendären Zürcherin, die 1292 mit anderen Frauen in Rüstung auf den Lindenhof stieg und damit, so will es der Mythos, ein habsburgisches Heer in die Flucht schlug. »Ganz schön clever«, kommentierte Seiler-Graf die symbolische Wehrhaftigkeit der Zürcherinnen und unterfütterte ihren politischen »Pragmatismus« mit nationalem Heldenepos. Vom Rütlischwur über Hedwig bis zum Réduit, den Verteidigungsanlagen in den Alpen – die Schweiz greift notfalls selbst zum Schwert. Nie als Aggressor, aber stets als listiger Widersacher, so das Narrativ.
Sozialdemokratische friedenspolitische Prinzipien, die etwa auf Völkerrecht oder Solidarität bauen, geraten in die Defensive. Der Bezug auf heroische Mythen verschiebt den Schwerpunkt hin zu Heimat und Schicksalsgemeinschaft – eine Strategie, die in der Schweiz bisher der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) vorbehalten war. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet eine Frauenfigur Teil von Seiler-Grafs Kampagne ist. Sie verbindet damit vermeintliche Progressivität mit konservativen Traditionen: Verteidigung und Waffengewalt gehören zur Schweiz, sollen aber nicht mehr ausschließlich Sache der Männer sein. Damit macht ein wesentlicher Teil der SP symbolkräftige Werbung für die »Service-Citoyen-Initiative« der Jugendorganisation der konservativen Partei Mitte Schweiz, die Ende des Jahres als Volksbegehren zur Abstimmung steht. Diese verlangt unter dem Deckmantel der Gleichstellung die Einführung eines obligatorischen Bürgerdienstes für Männer wie für Frauen, der in Armee, Zivildienst oder im sogenannten Zivilschutz, dem Katastrophenschutz, abzuleisten ist. Damit will die Sozialdemokratie den Marschbefehl als Heldentum und Gleichstellung verkaufen.
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