Ende eines Knechts
Von Hansgeorg Hermann
Frankreich steht ohne Regierung da. Dem Himmel sei Dank, sagen sich seit Montag abend mehr als 70 Prozent der Franzosen. Verschiedene Meinungsforscher hatten das übrigens schon vor dem Sturz des Premierministers François Bayrou ermittelt – den angeblich »unbeliebtesten Regierungschef« in der Geschichte der Fünften Republik wollte man selbst in den Chefetagen des französischen Kapitals nicht mehr. Zu unfein, ja brutal, war der vor neun Monaten von seinem Präsidenten Emmanuel Macron in den Kampf um die politische Vorherrschaft des neoliberalen Gesellschaftsmodells geschickte, bekennende Katholik durch jenen lichten Wald von Sozialgesetzen geholzt, in denen er und seine politischen Auftraggeber »Reformbedarf« erspäht hatten und auf Vollzug drängten.
Bevor sie den Anführer der rechtsliberalen Formation Mouvement démocrate (Modem) mit 364 zu 194 Stimmen aus dem Amt jagten, erklärten sie ihm am Montag nachmittag in der Nationalversammlung immerhin, warum sie das taten. Richtig sei es im Rahmen des »dringend notwendigen« Abbaus der ungeheueren Staatschulden zwar, dass man – nur als Beispiel – den Malochern zwei Feiertage streichen müsse, im Sinne der Formel »mehr Arbeit, mehr Wachstum«. Aber »selbstverständlich bezahlt«, mahnte der neue Chef der bürgerlichen Rechtspartei Les Républicains, Laurent Wauquiez, und nicht »gratis«, wie es Bayrous Agenda vorsah. Ungeschickt auch dessen geradezu »apokalyptische« Ankündigung einer drohenden Staatspleite, sollte sein Haushaltsplan für 2026 nicht verabschiedet werden. Fazit: Der Mann, der nicht in der Lage war, dem Volk die feinen Regeln des Kapitalismus verständlich und vor allem »akzeptabel« zu vermitteln, musste weg.
Bayrou, der – indem er die Vertrauensfrage stellte – dennoch dem Parlament sein ganz persönliches Sparbudget aufdrücken wollte, hat ja recht in gewisser Weise. Auf den Schultern der heranwachsenden Generation lasten in der Tat, wie ihm der Rechnungshof bestätigte, derzeit rund 3,4 Billionen Euro Miese. Der Schuldendienst werde bis 2029 vermutlich das Doppelte dessen betragen, was die arbeitende Klasse gleichzeitig an Produktmasse zu schaffen in der Lage sein wird. Kriege – ob die der NATO in der Ukraine oder die Frankreichs in Nordafrika – wie auch die Milliardengeschenke des Präsidenten für die Reichsten im Land müssen ja finanziert werden. Mehr als 40 Milliarden Euro fehlen allein in diesem Jahr; sie einfach bei jenen abholen, die über die Mittel verfügen, das wollte allerdings auch Bayrou nicht.
Lieber lobte er in seiner von Selbstmitleid gefluteten Abschiedsrede den französischen Turbokapitalisten Bernard Arnault. Er vergesse nicht, welchen Dienst der Chef des Luxuskonzerns LVMH und mit einem geschätzten Vermögen von 152,4 Milliarden US-Dollar wohl einer der reichsten Männer des Planeten dem Land täglich erweise – beispielsweise mit der Schaffung Zehntausender Arbeitsplätze. Die befinden sich allerdings vor allem im Ausland und dort im absoluten Billiglohnsektor: Nur knapp 40.000 von weltweit 215.000 »Mitarbeitern« dürfen in Frankreich helfen, täglich den Reichtum des Unternehmens und seines Besitzers zu mehren.
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