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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 6 / Ausland
Iranisches Atomprogramm

Neue Nachkriegsrealitäten

Atomenergiebehörde tagt: Chef Grossi besorgt, Teheran verweist auf Angriffe auf Nuklearanlagen
Von Knut Mellenthin
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Der Sprecher des iranischen Außenministeriums Esmaeil Baghaei am Montag bei einer Pressekonferenz in Teheran

Die Störungen der ordnungsgemäßen Zusammenarbeit zwischen dem Iran und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) stehen im Zentrum der Sitzung des Board of Governors der IAEA, die am Montag in Wien begann und noch bis Freitag dauern wird. In dem Gremium, das fünfmal im Jahr zusammenkommt, sind 35 Staaten vertreten – einige davon als ständige Mitglieder, während andere für jeweils ein Jahr gewählt werden. In seiner Eröffnungsansprache erklärte Generaldirektor Rafael Grossi am Montag, er sei »besonders besorgt«, weil die von ihm geleitete Behörde und deren Inspekteure seit mindestens drei Monaten keinen Zutritt mehr gehabt hätten, um Irans Bestand an hoch angereichertem Uran zu überprüfen.

Seit Donald Trump als US-Präsident im Mai 2018 das drei Jahre zuvor geschlossene internationale Atomabkommen mit dem Iran aufkündigte, hat die Islamische Republik die Kontrollen der IAEA in den iranischen Nuklearanlagen schrittweise eingeschränkt. Als Reaktion auf die zwölftägigen Bomben- und Raketenangriffe Israels und der USA im Juni auf iranische Atomanlagen hat die Regierung in Teheran ihre Haltung noch weiter verschärft.

Ohne Wiederaufnahme der vollständigen Anwendung der Kontrollen, die in Zusammenhang mit dem Atomwaffensperrvertrag verbindlich vereinbart sind, dem sogenannten Safeguard Agreement, könne die IAEA keine Schlussfolgerungen oder Zusicherungen hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms abgeben, erklärte Grossi.

Iran wirft Grossis Behörde vor, dass sie die israelisch-US-amerikanischen Luftangriffe im Juni nicht verurteilt hat, obwohl der Schutz und die Überwachung der zivilen Nutzung der Kernkraft ihre wichtigste Aufgabe ist. Als Reaktion beschloss das Parlament in Teheran am 20. Juni ein Gesetz, das bis auf weiteres die gesamte Zusammenarbeit mit der IAEA suspendiert und deren Inspekteuren den Zugang zu Irans Atomanlagen verwehrt. Seither sind Vertreter beider Seiten dreimal zu »technischen Diskussionen« zusammengekommen, um Wege zur Wiederherstellung einer normalen Zusammenarbeit zu vereinbaren. Dabei seien Fortschritte erreicht worden, sagte Grossi am Montag. Er hoffe, dass es in den nächsten Tagen möglich sein werde, die Gespräche erfolgreich abzuschließen. Wörtlich: »Es ist immer noch Zeit, nicht viel, aber genug, wenn guter Wille und klares Verantwortungsgefühl vorhanden sind.«

Im Anschluss gab der Sprecher des Teheraner Außenministeriums, Esmaeil Baqaei, eine Presseerklärung ab, die als offizielle Gegenstellungnahme der iranischen Regierung zu verstehen ist. Irans Verpflichtungen aus dem Safeguard Agreement mit der IAEA würden als Antwort auf den israelischen Angriff im Juni »angepasst«, führte Baqaei aus. Die künftige Zusammenarbeit mit der Behörde werde »die neuen Nachkriegsrealitäten widerspiegeln«. Der Iran habe den Bericht über den Stand des iranischen Atomprogramms zur Kenntnis genommen, den Grossi vor der Sitzung allen IAEA-Mitgliedsländern zukommen ließ, und werde seine Positionen dazu in Form einer offiziellen Note mitteilen. Die Regierung erwarte eine »faire Bewertung«, die »die Angriffe vom Juni in Betracht zieht«. Irans Verpflichtungen könnten nicht mehr »auf dieselbe Weise wie vor den israelischen und US-amerikanischen Militäraktionen« erfüllt werden. »Dies ist eine einmalige Situation, und für diese Umstände existieren keine Inspektionsvorschriften.«

Zugleich behauptete Baqaei, Iran habe in den drei bisherigen Gesprächen mit der IAEA Verständnis für seine Sichtweise gefunden. Ähnlich hatte sich Außenminister Abbas Araghtschi schon am vorigen Mittwoch ausgedrückt: Die internationale Atombehörde habe »zugestimmt, dass die neue Entwicklung einen neuen Rahmen der Zusammenarbeit erfordert«. Wahrscheinlich klingt das nicht, wenn man vergleichend Grossis Ansprache zur Eröffnung der Board-Sitzung liest.

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