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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 7 / Ausland
Social-Media-Bann

Nepal brennt

Sperre von Onlinediensten bringen Tausende auf die Straßen. Angriffe auf öffentliche Einrichtungen gehen trotz Rücknahme und Rücktritt des Premiers weiter
Von Thomas Berger
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Stundenlang stand der Sitz des nepalesischen Parlaments in Kathmandu am Dienstag in Flammen

Nach der Ausweitung der schwersten Unruhen seit Jahren ist am Dienstag Nepals Premier Khadga Prasad Sharma Oli zurückgetreten. Kurz darauf stürmten Hunderte Demonstranten den Parlamentssitz in der Hauptstadt Kathmandu und setzten das Hauptgebäude in Brand. Im Laufe des Tages gingen weitere öffentliche Einrichtungen in Flammen auf – darunter das Oberste Gericht, die zentrale Verwaltung und zahlreiche Polizeistationen – sowie die Privathäuser von Politikern. Der internationale Flughafen von Kathmandu stellte seinen Betrieb ein.

Zuvor hatte es bei Zusammenstößen mit Einsatzkräften 19 Tote und mehr als 500 Verletzte gegeben, so eine vorläufige Opferbilanz vom Vortag. Besonders Schüler und Studierende waren in Kathmandu und anderen Städten zunächst gegen das in der Vorwoche verfügte Verbot der meisten Social-Media-Kanäle auf die Straße gegangen. Die Blockade wurde nach Angaben von Kommunikationsminister Prithvi Subba Gurung inzwischen aufgehoben, wie örtliche Medien berichteten. Laut AFP funktionierten die wichtigsten Internetdienste am Dienstag wieder.

Aufgerufen zu den Protesten hatte die 2015 gegründete NGO »Hami Nepal«, deren Vorsitzender Sudan Gurung eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung spielte. Via Social Media wurden etwa Aufrufe und Demorouten verbreitet. Die Proteste haben sich unterdessen in eine breite Opposition gegen die politische Kaste entwickelt; kritisiert werden Korruption und die Ineffizienz staatlicher Strukturen. Am Montag hatten Protestierende bereits Absperrungen zum Parlament durchbrochen. Die Polizei setzte nicht nur Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, sondern feuerte auch mit scharfer Munition. Die Armee wurde hinzugezogen. Prominente stellten sich öffentlich auf die Seite der Demonstranten. In zahlreichen Krankenhäusern wurden immer mehr Verletzte eingeliefert – über ein Dutzend Personen befindet sich in einem kritischen Zustand, was die Zahl der Todesopfer noch ansteigen lassen könnte.

Innenminister Ramesh Lekhak war am Montag »aus moralischen Gründen« zurückgetreten. Regierungschef Oli hatte für Dienstag ein Allparteientreffen einberufen, beugte sich aber schließlich ebenfalls dem wachsenden Druck und trat zurück, was Präsident Ram Chandra Paudel umgehend akzeptierte. Oli stand einer Koalition vor, die vorrangig aus seinen eher als sozialdemokratisch einzustufenden Marxisten (Kommunistische Partei Nepals/Vereinigte Marxisten-Leninisten, CPN-UML) und dem liberalen Nepali Congress (NC) besteht.

Entzündet hatten sich die Proteste am Verbot von Facebook, Whats-App & Co. Die Regierung hatte behauptet, dass Nutzer der Dienste über Fakeaccounts Falschmeldungen verbreiteten und Straftaten begingen, und den Betreiberfirmen Ende August eine Woche Zeit gegeben, sich ordnungsgemäß registrieren zu lassen. Einige wenige, darunter Tik Tok, folgten der Aufforderung und erhielten eine offizielle Lizenz; in zwei Fällen, darunter Telegram, wird der Antrag noch bearbeitet. Der Meta-Konzern (Facebook, Instagram und Whats-App), Alphabet (Youtube) und X hatten das Ultimatum ohne Reaktion verstreichen lassen.

Die Jugend sah sich durch die Blockade ihrer wichtigsten Austauschmöglichkeiten beraubt. »19 Mitschüler von meinem College sind schon nach Europa oder in die Golfstaaten gegangen. Und andere wollen diesen Schritt demnächst tun«, so Musikstudentin Sharmila gegenüber jW. Auch sie sieht schon länger keine Zukunft mehr in ihrem Heimatland. Zur Perspektivlosigkeit gerade der jungen Generation aus wirtschaftlichen Gründen gesellt sich der Frust über das verkrustete politische System. Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie »Schaltet die Korruption aus, nicht Social Media«.

2006 endete in Nepal der zehnjährige Guerillakrieg der Maoisten, die heute drittstärkste parlamentarische Kraft sind. Zwei Jahre später wurde mit der Abschaffung der seit 1768 bestehenden Monarchie der autoritär herrschende König Gyanendra Shah entmachtet. Nach wie vor konzentriert sich die Macht in Kathmandu in einem Kreis weniger alter Männer, die den seit Jahrzehnten dominierenden Kasten entstammen. Die großen Parteien sind zerstritten, nur selten seit 2008 hat eine der wechselnden Koalitionen mehr als ein oder zwei Jahre überdauert.

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