Neue »Herbstkraft«, alte Probleme
Von Kristian Stemmler
Eine Handvoll Phrasen und die Botschaft »Wir haben uns wieder lieb« – viel mehr hatten die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD aus einer Sitzung des Koalitionsausschusses am Mittwoch abend nicht zu berichten. CSU-Chef Markus Söder etwa erklärte auf einer zwischendrin eingeschobenen Pressekonferenz im Kanzleramt, die »schwarz-rote« Koalition wolle »nach der Sommerdepression« nun eine »neue Herbstkraft« finden. Auch Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz sowie die SPD-Vorsitzenden Bärbel Bas und Lars Klingbeil versprachen, nach den Streitigkeiten der vergangenen Wochen wieder zu einem konstruktiven Umgang miteinander finden zu wollen.
Eine Liste mit konkreten Vorhaben, wie sie mancher in der Koalition erwartet hatte, legte das Quartett nicht vor. Merz kündigte lediglich an, dass bis zum Ende des Jahres die »wichtigsten Eckpunkte« für eine »Reform« des Bürgergelds vorliegen sollen. Um den Industriestandort Deutschland zu stärken, will der Kanzler zu zwei Spitzentreffen einladen, zu einem Gipfel mit der angeschlagenen Stahlbranche und einem Dialog zur Zukunft der Automobilindustrie.
Merz und Bas, die sich zuletzt einen Schlagabtausch zum Thema Sozialkosten geliefert hatten, gaben sich betont versöhnlich. Der CDU-Chef hatte vor knapp zwei Wochen erklärt, der Sozialstaat sei »nicht mehr finanzierbar«, Bas hatte das als »Bullshit« bezeichnet. Am Mittwoch relativierte Merz sein Diktum zum Sozialstaat mit den Worten: »Wir wollen ihn nicht schleifen, wir wollen ihn nicht abschaffen, wir wollen ihn nicht kürzen.« Es gehe vielmehr darum, Missbrauch stärker unter Kontrolle zu bringen.
Bas wiederum erklärte, sie habe Reformbedarf beim Bürgergeld nie widersprochen. »Mich muss man hier auch nicht zum Jagen tragen«, führte sie aus. Auf die Ankündigung des Kanzlers, beim Bürgergeld ließen sich fünf Milliarden Euro einsparen, reagierte sie allerdings mit Skepsis. Das sei abhängig davon, »dass die Wirtschaft anzieht«, sagte die SPD-Chefin. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung könne die Debatte um Einsparungen im Sozialen entschärfen. Wenn es gelänge, 100.000 Menschen mehr in Arbeit zu bringen, »dann macht das durchaus ein bis zwei Milliarden aus, die wir dann auch sparen«, schätzte Bas.
Vorerst ungelöst bleibt die Frage, wie Union und SPD das 30-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt 2027 stopfen wollen. Bundesfinanzminister Klingbeil machte klar, dass die Verhandlungen darüber nicht zu einer Zerreißprobe werden sollen. Der SPD-Chef wolle verhindern, dass in »nächtelangen Koalitionssitzungen« verhandelt und »öffentlicher Streit zelebriert« werde. Die Koalition müsse nun so schnell wie möglich ein Gesamtpaket vorlegen, das eine Antwort darauf gebe, wie die Lücke geschlossen werden solle.
Die »gezwungene Harmonieshow« könne nicht darüber hinwegtäuschen, »dass die Koalition keinen Plan hat, wie sie die absehbaren riesigen Löcher in den Haushalten stopfen will«, erklärte Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstag). Außer »Gipfelaktionismus« für Stahl, Auto- und Zuliefererindustrie habe es wenig Konkretes gegeben.
Mehr Tempo bei den »Reformen« forderte Grünen-Chefin Franziska Brantner. Es sei an der Zeit, »unsere Sozialsysteme zu vereinfachen, zu digitalisieren und generationengerecht aufzustellen«, sagte sie ebenfalls den Funke-Zeitungen. Der Deutsche Städtetag kritisierte den Fokus auf das Bürgergeld. Dieses sei in den Städten nicht der größte Kostentreiber, betonte Städtetag-Hauptgeschäftsführer Christian Schuchardt gegenüber der Rheinischen Post.
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