»Ein Gefährdereintrag wirkt eskalierend«
Interview: Gitta Düperthal
Sie haben am Mittwoch vor dem Landtag in Wiesbaden gegen das hessische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, kurz PsychKHG, protestiert. Statt versprochener Hilfen drohe die Weitergabe vertraulicher Informationen von Ärzten an die Polizei. Worum geht es dabei?
Es ist skandalös, wofür die Regierenden von CDU und SPD in einer Anhörung plädierten: Polizei und Ordnungsamt sollen nach der Entlassung psychisch Kranker aus einer psychiatrischen Klinik über deren Krankenakte informiert werden. Damit wolle man eine mögliche Fremdgefährdung verhindern. Statt also psychisch Kranke zu unterstützen, plant man, Listen zu erstellen, um sie pauschal vorzuverurteilen und zu stigmatisieren. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs.
Was meinen Sie?
Insgesamt sind die Missstände in der Psychiatrie in der Öffentlichkeit kaum präsent. Ständig kommt es zu Zwang und Gewalt in Kliniken, auf Patientinnen und Patienten wird Druck ausgeübt, Psychopharmaka einzunehmen. Der ganze Bereich ist schlecht ausgestattet und unterfinanziert. Das kritisieren wir vom »Frankfurter Forum für Psychische Krisenbewältigung« schon seit Jahren. Wir sind eine politisch links ausgerichtete Selbsthilfegruppe, die sich für eine bessere Psychiatrie in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet einsetzt.
Die Forderung, Listen von Menschen mit diagnostizierter psychischer Erkrankung zu erstellen, wurde laut, nachdem es zu mehreren Messerangriffen gekommen war, und die Täter als psychisch erkrankt galten. Wozu führen solche Einträge in Datenbanken?
Das geht in eine völlig falsche Richtung. Ein Gefährdereintrag in einem Polizeiregister wirkt unserer Erfahrung nach eskalierend. Betroffene und die Fachwelt sehen in dieser Gesetzesänderung keinen Sinn, sondern im Gegenteil großen Schaden. Besonders schlimm ist es in Fällen, in denen Migranten oder Bürger aus osteuropäischen Staaten psychisch erkranken. Weil sie nicht krankenversichert sind, erhalten sie nach der Klinikentlassung gar keine Krisenhilfe. In einer Behandlung werden sie mit Psychopharmaka vollgestopft und anschließend damit allein gelassen.
Sie weisen auch darauf hin, dass psychisch Kranke oft von Rassismus, Wohnungslosigkeit und Armut betroffen sind.
Wenn man sie in prekäre Lebensverhältnisse zwingt, ohne Betreuung lässt, in unhygienischen Unterkünften mit Mehrbettzimmern unterbringt, wird dies psychische Krankheitssymptome noch verschärfen. Hauptsächlich betrifft es auch Menschen anderer Herkunft; vor allem, wenn sie keine weiße Hautfarbe haben.
Sie prangern außerdem tödliche Polizeigewalt gegen psychisch erkrankte Menschen an, wie im Fall des Toten vom Deutschherrenufer in Frankfurt vom Januar 2024 oder von Amin F. im August 2022. Hat das System?
Ja, aus unserer Sicht ist in beiden Fällen mit der Versorgung nach der Klinikentlassung etwas enorm schiefgelaufen. Im Fall des Anfang 2024 von der Polizei erschossenen argentinisch-spanischen Mannes stand in der Presse lapidar: Er habe »in einer Einrichtung für Personen mit psychischen Beeinträchtigungen gelebt«. Zuvor war er am Mainufer mit nacktem Oberkörper und mit einem Messer hantierend gesehen worden. Statt zu ermitteln, was das Problem war, ist nun geplant, mit dem Gesetzentwurf des PsychKHG für weitere Verschlechterung zu sorgen.
Was fordern Sie?
Statt einen Profi vom Krisendienst hinzuzuholen, der mit Sucht- sowie psychisch Kranken Erfahrung hat und besser deeskalieren kann, überließ man es der Polizei. Die machte von der Schusswaffe Gebrauch. Einen aufsuchenden Krisendienst wie in Bayern und Berlin, 24 Stunden am Tag an sieben Tagen die Woche, gibt es in Hessen gar nicht. Hier wurde nicht einmal eine läppische Telefonseelsorge, rund um die Uhr, auf den Weg gebracht. Mit einer Demo am 10. Oktober werden wir erneut protestieren, gemeinsam mit der Linksjugend und anderen linken Gruppen: gegen den autoritären Rechtskurs der Landesregierung, die die pauschale Überwachung psychisch Kranker vorantreibt.
Eva Martin ist aktiv in der Selbsthilfeinitiative »Frankfurter Forum für psychische Krisenbewältigung«
Demo: »Stoppt das PsychKHG«, 11. Oktober, 14 Uhr, Mauritiusplatz, Wiesbaden
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