Können wir uns Merz noch leisten?
Von Arnold Schölzel
Am Mittwoch tagt der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD – die wichtigste politische Machtzentrale in der Bundesrepublik. Thema dürfte der »Herbst der Reformen« sein, also die Attacke auf staatliche Sozialleistungen. Am Montag nahm zudem die von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) eingesetzte »Sozialstaatskommission« aus Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden ihre Arbeit auf. Ihr Schwerpunkt liegt laut einer Mitteilung des Bas-Ministeriums vom 21. August »auf steuerfinanzierten Leistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag.« Damit dürften die Bereiche, aus denen Geld gepresst werden soll, benannt sein. Die Kommission soll das bis Ende des Jahres erledigt haben.
Am Wochenende hatten sich Kanzler Friedrich Merz (CDU), CSU-Chef Markus Söder und Bas, die auch SPD-Kovorsitzende ist, mit zum Teil markigen Formulierungen in Stellung gebracht, danach mischten sich Industrie und Handwerk ein. Am einfachsten machte es sich Gesamtmetall-Chef Oliver Zander, der in Bild verlangte: »Beim Sozialstaat muss zwingend gespart werden, zur Not mit einer pauschalen Kürzung aller Ausgabenposten um fünf Prozent.«
Das war noch kein Kettensägengefuchtel, entsprach aber dem Ansatz des Kanzlers. Er hatte am Sonnabend auf dem Landesparteitag der CDU Nordrhein-Westfalen (NRW) in Bonn an der antisozialen Gebetsmühle gedreht: »Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, mit dem, was wir wirtschaftlich erwirtschaften in der Bundesrepublik Deutschland, einfach nicht mehr leisten.« Das Land lebe seit Jahren über seine Verhältnisse, eine deutliche Reform des Bürgergeldes sei fällig. Am Sonntagvormittag erhob Bas Widerspruch. Auf einer Landeskonferenz der NRW-Jusos in Gelsenkirchen sagte sie: »Diese Debatte gerade, dass wir uns diese Sozialversicherungssysteme und diesen Sozialstaat finanziell nicht mehr leisten können, ist – und da entschuldige ich mich jetzt schon für den Ausdruck – Bullshit.« Am Vortag hatte sie allerdings bestätigen lassen, dass das Bürgergeld zum 1. Januar 2026 nicht erhöht wird, aber schärfere Sanktionen kommen. Bereits am Sonntag abend schlug daher das leichte SPD-Zucken in Strammstehen um. Bundesfinanzminister und SPD-Kochef Lars Klingbeil kündigte im ARD-»Bericht aus Berlin« eine »Reform« des Bürgergelds an. Totalverweigerer und Schwarzarbeiter müssten deutlich mehr Sanktionen erfahren: »Den Druck fahren wir hoch.« Eine Vorlage für Söder, der in der Augsburger Allgemeinen vom Montag »harte Reformen« verlangte: »Der Sozialstaat braucht ein grundsätzliches Update.«
Kritik an der geplanten Bürgergeld-Nullrunde übte die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke Cansin Köktürk. Sie sagte am Sonntag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das sei »ein unverantwortlicher Angriff auf das Existenzminimum«. Die Chefin des Sozialverbandes VdK Verena Bentele erklärte in der Rheinischen Post (Dienstag): »Eine weitere Nullrunde beim Bürgergeld bedeutet eine versteckte Kürzung … Wenn Menschen nur rund sechs Euro pro Tag für Lebensmittel zur Verfügung haben, ist offenkundig, dass das nicht reicht.« Sie warnte, eine Politik, die »einerseits Rekordschulden anhäuft und andererseits den Sozialstaat abbaut, öffnet populistischen Debatten Tür und Tor.« Nötig sei ein eindeutiges Bekenntnis zu einem »starken, gerechten und zukunftsfähigen Sozialstaat«. Der sei finanzierbar, »wenn die Politik endlich alle Gestaltungsräume nutzt und die Lasten gerecht verteilt«.
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