»Sie wollte Ärztin werden, muss aber zu Hause sitzen«
Interview: Gitta Düperthal
Am vergangenen Freitag, dem vierten Jahrestag der Machtübergabe an die Taliban in Afghanistan, forderten Sie bei einer Kundgebung in München Menschenrechte und Freiheit, insbesondere für Frauen und Mädchen dort. Wie wurde Ihr Protest aufgenommen?
Trotz der Hitze an dem Tag bekundeten etwa 300 Menschen ihre Solidarität und ihren Respekt. Rednerinnen und Redner, unter anderem vom Bayerischen und Münchner Flüchtlingsrat und Münchner Frauenverbänden, riefen die deutsche Gesellschaft, Politikerinnen und Politiker, sowie Medien auf, Haltung gegenüber der afghanischen Bevölkerung zu zeigen; vor allem gegenüber den Frauen, deren Stimmen dort zum Schweigen gebracht werden sollen. Es kann nicht sein, dass man den Menschen, die dort leiden, kein Gehör schenkt, aber mit den Taliban verhandelt. Was ja letztlich bedeutet, ein Terrorregime zu legitimieren. Weltweit wurde am Freitag im Gedenken an den düsteren Tag von deren Machtübernahme 2021 in Afghanistan demonstriert; gegen die Unterdrückung kritischer Stimmen und das Vorenthalten von Freiheits- und Menschenrechten dort.
Was hören Sie aktuell über die Lage in Afghanistan?
Meine Familie hat es geschafft zu flüchten, wenn auch nicht nach Deutschland. Ich habe aber Bekannte in Afghanistan. Ein Freund berichtet mir in Telefonaten von seiner Tochter im Teenageralter. Sie darf nicht mehr in die Schule gehen, weint die ganze Zeit. Sie wollte Ärztin werden, muss aber zu Hause sitzen. Ihre Zukunft und ihre Träume auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben werden systematisch zerstört. Sie wohnt in Masar-e Scharif, einer Großstadt in Afghanistan. Überall im Land ist es dasselbe. Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen. Sie fragte, ob sie nach Deutschland kommen kann. Ihr Vater würde erlauben, dass sie alleine geht. Ich muss sie enttäuschen. Hier in der BRD ist es wegen der Rechtsentwicklung schwierig.
Sie beschreiben, dass seit dem 15. August 2021 in Afghanistan für Frauen ein Klima der Angst herrscht. Können Sie weitere Beispiele schildern?
Manche Mädchen sind gezwungen, einen Taliban zu heiraten, damit ihre Familien sicher sind. Frauen dürfen nicht rausgehen, nicht mal einkaufen. Das gilt auch für Frauen, die mit ihren Kindern alleine leben, etwa weil ihr Mann gestorben ist. Wollen sie vor die Haustür, muss eine männliche Person sie begleiten, das kann ein sechsjähriger Junge sein. Frauen werden systematisch entrechtet, aus Schulen, Universitäten, Berufen und dem öffentlichen Leben verdrängt. Unterdrückung und Gewalt bestimmen ihren Alltag.
Sie fordern, dass die diplomatischen Beziehungen zur Taliban-Regierung nicht normalisiert werden. Wie werten Sie die Haltung der deutschen Regierung und Behörden dazu?
Wir kritisieren, dass mit Diplomaten der Taliban verhandelt wird, ob in München oder auch in Berlin. Das Ziel: Bleiben kann nur, wer politisches Asyl hat, Geflüchteten mit subsidiärem Aufenthalt droht die Abschiebung. Das hat für sie schlimme Auswirkungen. In Afghanistan verschwinden Menschen einfach, etwa Journalisten oder Oppositionelle. Lehrerinnen dürfen nicht mehr unterrichten. Diejenigen, die noch Mädchen bis zur sechsten Klasse lehren dürfen, erhalten ein niedrigeres Gehalt als ihre männlichen Kollegen.
Nach Pakistan geflohene Afghaninnen und Afghanen werden seit etwa einer Woche in Unterkünften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Islamabad mit Razzien überzogen und verhaftet. Trotz anderslautender Gerichtsentscheidungen: Verbindliche Aufnahmezusagen aus Deutschland helfen nicht. Was wissen Sie darüber?
Wer kein Visum hat, wird abgeschoben. Diese Menschen, die mit berechtigten Erwartungen nach Pakistan flohen, sind nicht sicher. Viele hatten ihr Eigentum bereits in Afghanistan verloren. Sie sind in großer Gefahr.
Wo sehen Sie die Ursache für diese Entwicklung?
Nahezu alle anderen Parteien in der BRD sehen sich durch die AfD unter Druck. Sie müssten dagegenhalten. Wir leben in einem demokratischen Land, sollten die universellen Menschenrechte achten. Wir werden unseren Appell stärker und lauter in die Welt schicken.
Majeed Behzad ist Veranstalter der Kundgebung am Freitag in München. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft
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