Blockade gegen Kriegsregierung
Von Gerrit Hoekman
Der Protest in Israel gegen den Krieg im Gazastreifen hat am Wochenende an Schärfe gewonnen. Für Sonntag waren alle Einwohner zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Bereits am Morgen besetzten Demonstranten zahlreiche Straßen. An einigen Stellen brannten Autoreifen. Der Protest richtet sich vor allem gegen den Anfang August vom Kriegskabinett beschlossen Plan zur vollständigen Besetzung des Gazastreifens, da viele Israelis sich um die verbliebenen Gefangenen sorgen. Am Sonntag beginnt in Israel die Arbeitswoche. Bis zum Mittag wurden laut Polizei 32 Menschen festgenommen, unter anderem während einer Blockade des wichtigen Ayalon Highway in Tel Aviv. In Jerusalem setzte die Polizei einen Wasserwerfer gegen mehrere hundert Demonstranten ein, die einen Tunnel blockierten, wie Times of Israel berichtete.
Das israelische Nationaltheater Habima und das Cameri-Theater, die beiden wichtigsten Schauspielhäuser in Tel Aviv, sagten am Sonntag aus Solidarität mit den Streikenden alle Vorstellungen ab. Oppositionsführer Jair Lapid erschien persönlich auf dem »Platz der Geiseln«. In einer auf dem Kurznachrichtendienst X geteilten Videobotschaft wandte er sich an die Protestbewegung: »Wir legen heute das Land lahm. Denn unsere Geiseln sind keine Schachfiguren, die die Regierung für den Krieg opfern darf – sie sind Bürger (…)«, sagte der Vorsitzende von Yesh Atid (Zukunftspartei, jW). »Sie werden und nicht aufhalten, sie werden uns nicht ermüden, sie werden uns nicht auslaugen.« Der Protest werde weitergehen, bis der Krieg in Gaza ende und die Geiseln nach Hause zurückkehren könnten. »Die Arbeiter in Israel stehen hinter euch«, sagte auch Gewerkschaftsboss Arnon Bar-David.
»Die Nation Israel erwacht heute morgen mit einer schlechten und schädlichen Kampagne, die der Hamas in die Hände spielt, die Geiseln in den Tunneln vergräbt und versucht, Israel zur Kapitulation vor seinen Feinden zu zwingen«, schrieb hingegen einer der schlimmsten Hetzer und Scharfmacher in der israelischen Regierung, der faschistische Finanzminister Bezalel Smotrich auf X. »Der Staat Israel steht nicht still und streikt nicht«, behauptete er ungeachtet der Tatsache, dass eine lange Liste von Unternehmen, lokalen Behörden und die einflussreiche Gewerkschaft Histadrut den Streik unterstützten.
Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu behauptete der Tageszeitung Haaretz zufolge in einer Kabinettssitzung am Sonntag: »Wer ein Ende des Krieges fordert, verzögert die Freilassung der Geiseln und garantiert, dass die Schrecken des 7. Oktober wiederkehren.« Die Demonstrationen seien schuld daran, wenn die israelischen Soldaten »in einem ewigen Krieg immer wieder kämpfen müssen«. Noch martialischer reagierte Netanjahus Parteifreund, der Knesset-Abgeordnete Hanoch Milwidsky: »Juden und Israelis zünden den Staat an, um die Zerstörung der Hamas zu verhindern. Solche Leute gab es in unserem Land schon immer. Wir haben sie besiegt. Und das werden wir auch dieses Mal schaffen.« Jüngste Umfragen legen allerdings nahe, dass eine Mehrheit der Israelis für ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen in Gaza eintritt. Dessen ungeachtet setzte die israelische Armee am Wochenende ihren Sturm auf Gaza-Stadt und die dortigen Flüchtlingslager fort.
Der Stadtteil Seitun ist seit einer Woche unter heftigen Beschuss. »Wir schätzen, dass mehr als 50.000 Menschen sich noch in Seitun befinden, die meisten ohne Wasser und Nahrungsmittel«, zitierte die Nachrichtenagentur AFP den Sprecher des Zivilschutzes, Mahmud Bassal. Allein am Sonnabend starben nach Angaben des Zivilschutzes in Gaza mindestens 39 Menschen. Darunter waren auch Menschen, die an Hilfsgüterverteilzentren getötet wurden. Am Sonntag starben bis zum Mittag mindestens 20 weitere Personen, einige von ihnen in Khan Junis, als sie nach Essen suchten, berichtete der TV-Sender Al-Dschasira. Die israelische Armee kündigte am Sonntag die baldige »Evakuierung«, also Vertreibung, der verbliebenen Bevölkerung von Gaza-Stadt an – eine Etappe des Besetzungsplans.
Auch an einer weiteren Front griff Israel in der Nacht zu Sonntag erneut an: Die Luftwaffe attackierte ein Kraftwerk südlich von Sanaa, der Hauptstadt Jemens. Das Gebiet wird von den Ansarollah (»Huthis«) kontrolliert, die Israel durch Angriffe auf Schiffe und das Festland an einem Fortführen des Genozids in Gaza hindern wollen. Die allermeisten Drohnen und Raketen werden von der israelischen Luftabwehr jedoch abgefangen.
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