Heftiger Protest in Serbien
Von Mawuena Martens
Haben die Proteste in Serbien eine neue Qualität angenommen? Das zumindest legen verschiedene Medienberichte nahe, die die erneute Protestwelle gegen die Regierung dokumentieren. Bereits seit Monaten gehen vor allem aus dem studentischen Milieu stammende junge Serben auf die Straßen. Auslöser: Der Einsturz eines neugebauten Bahnhofsvordachs in der Stadt Novi Sad am 1. November 2024. Dabei waren 16 Menschen ums Leben gekommen, wahrscheinlich aufgrund von Korruption und Pfusch am Bau.
Videos und Aufnahmen der jüngsten Proteste vom Wochenende belegen nun, dass es in mehreren Städten zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen ist. In der Stadt Valjevo gingen Tausende gegen Präsident Aleksandar Vučić auf die Straße. Dabei traten Teilnehmer die Glasscheiben des Büros der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) ein und warfen Feuerwerkskörper auf das Gebäude – woraufhin die Räume in Brand gerieten, wie Videos unter anderem in sozialen Netzwerken zeigen. Die Gebäude der Stadtverwaltung und der örtlichen Staatsanwaltschaft wurden ebenfalls beschädigt, so dpa. Der Zorn der Menschen auf der Straße soll hier besonders groß gewesen sein, da laut der Agentur zwei Tage zuvor Schlägertrupps der SNS ein im Besitz eines Sympathisanten der Protestbewegung befindliches Café zerstört hatten. Sie sollen auch die Werkstatt des Vaters einer Studentenaktivistin überfallen und ihren Betreiber brutal zusammengeschlagen haben. Die Behörden unternahmen demnach keine Schritte zur strafrechtlichen Verfolgung der Gewaltakte.
Auch in der Hauptstadt Belgrad kam es in der Nacht zu Sonntag zu Zusammenstößen. Einsatzkräfte stoppten Demonstranten, deren Plan es gewesen sein soll, zum Hauptquartier des SNS zu marschieren. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Protestierenden ein. Diese zündeten Pyrotechnik und setzten Müllcontainer in Brand. Innenminister Ivica Dačić gab an, dass sechs Polizisten verletzt und 38 Demonstranten festgenommen worden seien. Offizielle Angaben über verletzte Protestteilnehmer gibt es keine. Aufnahmen des gewaltsamen Vorgehens der Polizei lassen jedoch den Schluss zu, dass die Zahl weitaus höher liegt als auf seiten der Staatsgewalt. Und: Seit Beginn der Proteste in Serbien sind bereits 16 Menschen ums Leben gekommen. Auch am vergangenen Mittwoch hatte es Demonstrationen gegeben, bei denen 27 Polizisten und rund 80 Protestierende verletzt worden waren. Wie BBC berichtete, dementierte Dačić jedwede Polizeigewalt.
Am Freitag meldete sich auch Michael O’Flaherty, Kommissar für Menschenrechte beim Europarat, mit Kritik an dem Vorgehen der Einsatzkräfte zu Wort. Er sei besorgt über die »unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei« und fordere die Behörden auf, »willkürliche Verhaftungen zu beenden und die Situation zu deeskalieren«. Vučić hingegen äußerte sich am Sonntag auf Instagram, wo er schrieb: »Gewalt ist ein Ausdruck totaler Schwäche«, man werde die Täter zur Rechenschaft ziehen. Er hat die Demonstrationen wiederholt als Versuch einer »Farbrevolution« bezeichnet, die vom Westen gesteuert sei, um ihn zu stürzen. Tatsächlich pflegt der studierte Jurist gute Beziehungen zu Moskau, die dem Westen ein Dorn im Auge sein dürften. Andererseits unterhält der serbische Präsident auch zur EU und ihren Mitgliedstaaten gute Beziehungen. Und diese sind auffallend still in ihrer Kritik am Nachbarstaat, schließlich sind sie an den dortigen Lithiumressourcen interessiert, die die Regierung Vučić ebenfalls trotz Protesten auszubeuten gedenkt.
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Leserbrief von Thomas Walter aus Berlin (19. August 2025 um 00:08 Uhr)In Novi Sad wurden die Gleisanlagen und nicht das Bahnhofsgebäude neu erbaut. Das Bahnhofsgebäude sowie das Vordach stammen aus den sechziger Jahren. Offenbar wurde das Betondach nicht ausreichend geprüft. So etwas geschieht aber nicht nur in Serbien, wie der Einsturz der Morandi Brücke in Genua oder Carola Brücke in Dresden zeigt.
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