Alarm an Kiews östlicher Front
Von Lars Lange
Kurz vor dem Treffen des US-amerikanischen mit dem russischen Präsidenten haben Moskaus Streitkräfte Anfang dieser Woche nördlich der ukrainischen Stadt Pokrowsk einen bedeutenden Durchbruch erzielt. Bestätigt ist eine Länge von 15 Kilometern, unbestätigte Berichte sprechen sogar von bis zu 19 Kilometern. Besonders gravierend ist dabei, dass die russischen Kräfte die sogenannte neue Donbasslinie durchstoßen haben – Kiews Verteidigungslinie in der Oblast Donezk. Diese Befestigungslinie wurde ursprünglich zum Schutz der Oblaste Charkiw im Norden und Dnipropetrowsk im Westen errichtet und liegt hinter Kramatorsk und Slowjansk.
Der Durchbruch hat unmittelbare operative Konsequenzen: Die strategisch wichtige Dobropillja-Kramatorsk-Autobahn wurde nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Quellen von russischen Kräften erreicht. Die ukrainische Militärführung hatte eine derartige Frontentwicklung offenbar nicht erwartet, die Verteidigungslinien waren auf andere Szenarien ausgerichtet. Die russische Offensive stützt sich nahezu vollständig auf Infanterieeinheiten. Mechanisierte Komponenten wurden bislang nicht beobachtet. Statt dessen setzten die Einheiten in den vergangenen Wochen Hunderte Motorräder und wahrscheinlich auch Fahrräder ein, um kontinuierlich Positionen weit hinter den ukrainischen Truppen zu gewinnen.
Die Angreifer nutzen dabei sogenannte Diversions- und Aufklärungsgruppen (DRG), kleine mobile Stoßtrupps für schnelle Vorstöße hinter feindliche Linien. Diese ein bis drei Mann starken Teams durchdringen Lücken in der ukrainischen Verteidigung und können sich zu größeren Einheiten von zwei bis drei Zügen ausweiten – ein Zug besteht aus bis zu 35 Mann. Diese bilden dann eine Art Brückenkopf, ohne Anzeichen für größeren gepanzerten Fahrzeugverkehr. Unterstützt wird der Vorstoß durch heftige Luftangriffe. Um die 1.300 Gleitbombeneinschläge zwischen Pokrowsk und Kostiantijniwka binnen eines Monats sind dokumentiert. Inzwischen seien Pokrowsk und Mirnograd fast vollständig eingekreist, teilte der Befehlshaber der Asow-Truppen in der Nationalgarde, Bogdan Krotewitsch, am Montag via Kurznachrichtendienst X mit. Andere Armeesprecher dementierten dies jedoch. Unbestätigten Berichte zufolge ist der potentielle Kessel um Pokrowsk an der engsten Stelle nur noch etwa sechs Kilometer breit.
Die Ukraine kämpft mit einem dramatischen Infanteriemangel. Als Gegenmaßnahme verlegte Kiew anscheinend die 92. Sturmbrigade von der Charkiw-Front und die 4. Nationalgarde »Rubisch« in das Durchbruchsgebiet. Diese Verstärkungen dürften jedoch nicht ausreichen. Zudem scheinen russische Streitkräfte Panzer für einen größeren Vorstoß bereitzustellen, sobald die ukrainischen Panzerabwehrgräben und Drohnenteams geschwächt sind. Die Verwendung von Motorrädern belegt also nicht, dass die russische Armee einen Panzermangel hat, sondern dass sie zur Zeit Geschwindigkeit priorisiert. Eine vollständige Abkehr von dieser Taktik der russischen Armee ist nicht zu erwarten, da die allgegenwärtige Bedrohung durch zunehmend autonome Drohnen jedes Vorgehen gepanzerter Kräfte sehr kostspielig macht.
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