Lulas symbolisches Veto
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
In letzter Sekunde hat Brasiliens Staatspräsident vergangenen Freitag über eine von Tropenwald- und Klimaschützern »Verwüstungsgesetz« getaufte Reform entschieden. Entgegen der Forderung von Nichtregierungsorganisationen, Indigenen und Wissenschaftlern lehnte Luiz Inácio Lula da Silva das von Parlament und Senat verabschiedete Gesetz aber nicht vollständig ab. Er legte lediglich gegen 63 der 398 Artikel des »Verwüstungsgesetzes«, das die Vergabe von Umweltlizenzen erleichtern soll, sein Veto ein.
Gleichzeitig gab er grünes Licht für sofortige Ausnahmegenehmigungen zwecks beschleunigter Umweltverträglichkeitsprüfungen, also für Genehmigungen von Infrastruktur-, Entwicklungs- und Bergbauprojekten, die vom Regierungsrat als strategisch eingestuft werden. Genau so könnten klimaschädliche Projekte künftig deklariert und rascher durchgeboxt werden, seien es die Ausbeutung der Erdölvorkommen im Mündungsgebiet des Amazonas, der Abbau von strategischen Erzen und Mineralien wie Niobium oder Uran, die Asphaltierung der Bundesstraße BR-319 in Zentralamazonien oder der Bau der gleichfalls von Regenwaldschützern abgelehnten Bahnlinie »Ferrogrão«.
Nichtsdestoweniger lobten einige Umweltorganisationen den Präsidenten. »Lulas Vetos gegen Abschnitte des Verwüstungsgesetzes sind von grundlegender Bedeutung für die Korrektur schwerwiegender Teile des vom Nationalkongress verabschiedeten Gesetzentwurfs – und zeigen sein Engagement für den Sozial- und Umweltschutz«, kommentierte etwa Greenpeace Brasilien. »Die Vetos sind ein Beweis für das Engagement der Bundesregierung für die Gesellschaft als Ganzes und für die Bekämpfung des Klimawandels«, bewertete Alice Dandara de Assis Correia vom Instituto Socioambiental (ISA) Lulas Entscheidung. Dessen Veto gegen Bestimmungen, die den besonderen Schutz des atlantischen Regenwaldes aufheben würden, bezeichnete die Umweltschutzorganisation SOS Mata Atlântica als einen »wichtigen Meilenstein« für die brasilianische Umweltgesetzgebung und den Erhalt des atlantischen Regenwalds.
Andere Kritiker des Gesetzentwurfs sehen keinen Grund zum Feiern. »Präsident Lula unterzeichnete das sogenannte Gesetz zur Verwüstung nahezu unverändert«, so der Geograph Marcos Pędłowski von der Landesuniversität UENF im Bundesstaat Rio de Janeiro. Von den 63 Artikeln, gegen die der Präsident ein Veto eingelegt hat, habe er lediglich 26 vollständig, 37 hingegen nur teilweise abgelehnt. Die Schwächung des brasilianischen Umweltgenehmigungsverfahrens sei mit der Unterschrift des Präsidenten allerdings Realität geworden. Pedlowski ist überzeugt, dass die neue Gesetzgebung schwerwiegende Umweltschäden verursachen und negative Folgen für die lokale Bevölkerung haben werde. Kaum anders sieht es der Ökologe Rodolfo Salm von der Bundesuniversität von Pará in Altamira. Wer Präsident Lulas 63 Vetos feiere, habe nichts verstanden, schreibt er auf der Onlineplattform X.
Tatsächlich haben die Vetos des brasilianischen Staatspräsidenten kaum mehr als symbolischen Wert. Der Gesetzentwurf geht nämlich nun an den von der Agrarbusiness- und Bergbaulobby dominierten Kongress zurück, der die Vetos des Staatschefs der Arbeiterpartei überstimmen und das »Verwüstungsgesetz« unverändert in Kraft setzen kann. Abgeordnete des Bundesstaates Amazonas mobilisieren bereits im Nationalkongress gegen Lulas Vetos und fordern die rasche Asphaltierung der BR-319 ohne vorherige Umweltgenehmigung.
Ferner darf nicht unerwähnt bleiben, dass selbst die bestehende Umweltgesetzgebung für Amazonien katastrophale Infrastrukturprojekte nicht verhindern konnte. Seit den 90ern machen sich ökologisch und sozial schädliche Monokulturen in ganz Brasilien breit. Der legale wie illegale Raubbau in den brasilianischen Bergen nimmt stetig zu. Selbst in Lulas und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseffs vergangener Amtszeit wurden die Megawasserkraftwerke Belo Monte am Rio Xingu sowie Santo Antônio und Jirau am Rio Madeira geplant oder gebaut, deren ruinöse Folgen für die umliegende Natur absehbar waren.
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