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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Nordsee als Speicher

Wirtschaftsministerin will unter dem dem Meeresboden Kohlendioxid lagern. Bürgerinitiative warnt vor Risiken
Von Burkhard Ilschner
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Eine Bombe unterm Meeresgrund: Umweltorganisation protestiert vor dem Kanzleramt in Berlin gegen CO2-Endlager

»Bund erlaubt CO2-Speicherung« titelte der NDR vergangene Woche etwas voreilig: Noch ist der Gesetzentwurf der neuen Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) nur vom Bundeskabinett beschlossen, muss aber zunächst diverse Hürden überwinden.

»CO2-Speicherung« bedeutet, dass Kohlendioxid vor allem aus Abgasen industrieller Prozesse technisch abgeschieden und in unterirdische oder unterseeische »Endlager« verpresst wird. Das äußerst umstrittene Verfahren ist bekannt geworden unter der Abkürzung CCS – für den englischen Begriff »Carbon Capture and Storage«. Die einen feiern es als »Klimaschutzmaßnahme«: Angeblich hilft es, die angestrebte »Klimaneutralität« auch in der Zement-, Stahl- oder Chemieindustrie zu erreichen, die für sich Probleme mit der CO2-Vermeidung behaupten. Die anderen warnen vor einem enorme Steuermilliarden verschlingenden Irrweg: Zu teuer in der Umsetzung und zu wenig erforscht, diene er nur den genannten Teilen der Wirtschaft als Ausrede und berge erhebliche ökologische und sicherheitstechnische Risiken für die Umgebung der geplanten Lagerstätten sowie für die Transportwege.

Reiche, die vor ihrem Ministeramt Vorstandsvorsitzende der Eon-Tochter Westenergie AG war, gilt vielen als Lobbyistin der »fossilen« Energiewirtschaft. Sie sei »seit Beginn ihrer Amtszeit durch gasfreundliche Vorschläge aufgefallen«, stellte Timo Lange, Sprecher der Initiative Lobbycontrol, bereits vor Monaten fest. Der Entwurf, den sie jetzt durchs CDU/CSU-SPD-Kabinett brachte, setzt den Kurs ihres Amtsvorgängers Robert Habeck in verschärfter Form fort: Der Grünen-Politiker war bekanntlich nach langem, heftigem Widerstand gegen die CO2-Speicherung vor etwas mehr als zwei Jahren umgefallen; sein Pro-CCS-Entwurf konnte dann aber wegen des Scheiterns der Ampelkoalition nicht mehr umgesetzt werden.

Ausdrücklich will Reiche die Speicherung von CO2 auch auf offener See, vor allem also unter der Nordsee, erlauben. Zwar betont ihr Entwurf eine Ausnahme für Meeresschutzgebiete – aber erstens hinkt deren Ausweisung internationalen Vereinbarungen sowieso hinterher, und zweitens werden sich die von Reiche vorgesehenen Pipelines schwerlich realisieren lassen, ohne Schutzzonen zu queren. Für den Bau solcher Leitungen stellt die Ministerin ein »überragendes öffentliches Interesse« fest – das soll erforderliche Genehmigungsverfahren erleichtern. Allerdings weckt gerade dies auch sogleich Begehrlichkeiten: Vehement protestierte am Wochenende der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) gegen Reiches Fokussierung auf Pipelinelösungen und mahnte »dringende Nachbesserung« an: Es gelte, »die vollen Potentiale der Häfen für Klimaschutz, Versorgungssicherheit und industriellen Fortschritt« zu nutzen, die Seehäfen könnten die »CO2-Hubs der Zukunft werden«.

Dazu muss Reiches Entwurf nach der Sommerpause aber zunächst den parlamentarischen Beschlussfassungsmarathon durchlaufen und dann voraussichtlich – trotz oder wegen beschleunigter Genehmigung – juristische Überprüfungen überstehen. Zwar erhielt Reiche ausdrückliches Lob nicht nur vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, sondern auch von seiten diverser Grünen-Politiker, etwa Hamburgs Vizebürgermeisterin Katharina Fegebank oder, mit leichter Kritik an der Priorisierung, Kiels Umweltminister Tobias Goldschmidt. Aber wenig überraschend kündigten sich auch vehemente Bedenken und heftiger Widerstand an: Umweltverbände wie BUND oder Greenpeace protestierten ebenso wie die DIW-Energieexpertin Franziska Holz, die wesentliche Fragen der CCS-Technologie für »nicht ausreichend erforscht und erprobt« hält. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in Kiel mahnte, die Zeiten von »Aus den Augen, aus dem Sinn« sollten endlich vorbei sein. Und Reinhard Knof von der »Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager« warnt unter anderem vor den hohen Kosten – die geplante KfW-Finanzierung wälze die Risiken auf die Steuerzahler ab – und wegen immensen Strombedarfs der CCS-Technik vor ernormer Belastung durch stark steigende Strompreise.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. August 2025 um 23:15 Uhr)
    Wer sich mit den Details von CCS beschäftigen will, möge diese Schwarte lesen (Achtung, da kracht die Schwarte, kein Auge bleibt trocken, es sind 431 Seiten! Die Verfasser des Evaluierungsberichts zum Kohlenstoffspeichergesetz haben sich auch nicht die Mühe gemacht): https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/03/srccs_wholereport-1.pdf. Spezielle Empfehlung zur Kurzlektüre: Seite 208ff: 5.2.2 CO 2 storage mechanisms in geological formations. Da wird mit dem Blödsinn von »Mineralisierung« aufgeräumt. Ein Punkt gegen CCS: Nutzungskonkurrenz. Dafür würde (in Deutschland) so viel Wasser verbraucht, wie die Landwirtschaft (in Deutschland) nutzt. Bei CO2-Verklappung unter Land kann dieser Untergrund für nichts mehr verwendet werden. Keine Geothermie, keine sonstige Nutzung. Das Grundwasser kann durch verdrängte Sole kontaminiert werden (Reichweite bis 50km im Umkreis der Einpressung). Und: Ohne Subventionen wird das Ganze eh nix.

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