»Das war kein Einzelfall, Polizeimorde haben System«
Interview: Hendrik Pachinger, Nürnberg
Bayerische Polizeibeamte haben den Nürnberger Qabel A. im März in seiner Wohnung erschossen. Daran haben Sie jüngst erneut mit einer Kundgebung erinnert und Aufklärung gefordert. Was können Sie zum Hergang sagen?
Bekannt ist, dass Qabel mit zwei Schüssen getroffen wurde, wobei bereits der erste tödlich gewesen sein muss. Grund für den Polizeieinsatz in seiner Wohnung war ein offener Haftbefehl, der auf falschen Tatsachen beruht. Anschließend informierte die Polizei seine Familie nicht darüber. Seine Angehörigen erfuhren von seinem Tod aus den Medien. Qabel starb im Alter von 38 Jahren und hinterlässt zwei Kinder. Die Familie hat bis heute keine Einsicht in die Akten bekommen. Die Behörden versuchen hier noch einiges unter Verschluss zu halten.
Sie kritisieren auch, dass auf ein Messer in der Hand des Getöteten verwiesen wurde. Die Rechtswidrigkeit des Haftbefehls wurde nicht kommuniziert. Hat die Polizei überhaupt mit offenen Karten gespielt?
Ein vermeintliches Messer ist kein Grund, einen Menschen zu ermorden, aber Teil der Rechtfertigungsstrategie der Polizei. Der Vorwurf wurde zwei Monate später im Fall von Lorenz A. ebenfalls genutzt. Rechtswidriges Verhalten der Polizei ist keine Seltenheit. Betroffene von Polizeigewalt berichten seit Jahren darüber. Daher müssen wir davon ausgehen, dass auch in diesem Fall nicht mit offenen Karten gespielt wurde.
Wir erwarten auch nicht, dass das in Zukunft passiert. Polizeimorde, davon ist auszugehen, werden immer vertuscht. Damit soll der einzelne Beamte geschützt werden – und viel wichtiger: die Legitimität der exekutiven Staatsgewalt. Dabei ist der Polizei kein noch so abwegiger Vorwand zu schade, nutzt sie doch rassistische Narrative, um ihre Gewalt zu rechtfertigen.
Ihre jüngste Kundgebung fand am 31. Juli statt. Davor waren Sie Anfang Juni auf die Straße gegangen. Wie viele Menschen konnten Sie damit erreichen?
Die Kundgebungen waren mit insgesamt 250 Teilnehmern gut besucht. Es haben sich auch viele Passanten dafür interessiert, kannten sie ja vor allem das »Messerstecher«-Framing aus der Lokalpresse. Qabels Tod erschüttert hier viele Menschen. Dabei gab es Redebeiträge von Familienmitgliedern sowie von ehemaligen Schülern von Qabel. Er war als Lehrer für Wing Chun (chinesische Kampfkunst, jW) tätig. Außerdem gab es auch Reden von Organisationen wie Copwatch, »Organisierte Autonomie«, »Auf der Suche« oder den Falken.
Dies ist nicht der erste Tote durch die Polizei in der Metropolregion. Im vergangenen Juni wurde ein Mann im benachbarten Lauf von Bundespolizisten erschossen, im November ein Lehrer im Nürnberger Süden, und Anfang Juni wurde ein 19jähriger am Nordklinikum angeschossen. Was glauben Sie, weshalb es zu einer derartigen Zunahme an Fällen kommt?
Das kann mit der Faschisierung sowie der Militarisierung der Polizei und Gesellschaft erklärt werden. So wird der Ton rauher, und politische Entscheidungen werden repressiver. Rassistische Narrative werden dann genutzt, um die Gesellschaft zu spalten. So treten Menschen lieber nach unten statt nach oben, aus Angst, das System könnte auch sie verschlingen. Polizeimorde passieren in solchen Zeiten »legitimer«, weil es keinen oder nur einen geringen Aufschrei oder Widerstand gibt, so dass die Institution Polizei an ihrer Legitimität kaum verliert.
Zur Aufklärung von Qabels Tod wurde eine Spendenkampagne gestartet. Wie geht es nun weiter?
Die Initiative hat vor einigen Wochen mehr Informationen durch ihre Anwälte erlangt. Nun ist auch der Mörder von Qabel bekannt. Wie die Initiative weiter agiert, bleibt abzuwarten. Uns ist klar: Qabel ist kein Einzelfall. Wir werden weiterhin Kundgebungen für ihn mit der Initiative organisieren, Gerechtigkeit einfordern und deutlich machen, dass Polizeimorde System haben.
Nalan M. (Name geändert) ist aktiv in der Gruppe »Migrantifa Nürnberg«
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