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Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Hoffnung auf Sonne

Zweiter Teil von Julian Schütts Max-Frisch-Biographie
Von Stefan Gärtner
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Natürlich Jaguarfahrer: Max Frisch, 1961

Natürlich nichts als Zufall, dass der zweite Band von Julian Schütts Max-Frisch-Biographie im Thomas-Mann-Jahr erscheint; aber wie man sich so durch die 600 Seiten kämpft und fragt, warum sich hier, anders als im ersten Band, der ipso facto dynamischen »Biographie eines Aufstiegs«, kein rechter Zug einstellen will, gerät man an die Möglichkeit, dass es die »Biographie einer Instanz« ist, die uns nicht interessiert. Die Anschlussfrage wäre dann, ob das damit zu tun hat, dass uns die Instanz als solche fremd oder bloß Max Frisch egal ist, weil er uns, sosehr Julian Schütt dagegen anschreibt, eben doch als Schullektüre gegenwärtig ist und weil das Gründe hat, die weniger im Formalen denn inhaltlich Ausbeutbaren liegen.

Aber das mag ein Vorurteil sein, und da man Vorurteile an der Wirklichkeit prüfen soll, lesen wir »Montauk« neuerlich mit Begeisterung und legen »Mein Name sei Gantenbein« neuerlich nach zwanzig Seiten weg, und wenn wir die legendären »Tagebücher« zur Hand nehmen, werden wir uns gewiss wundern und/oder freuen über die vielen Anstreichungen, die wir einst vorgenommen haben, und vieles, was Frisch zur Veröffentlichung vorgesehen hatte, hat er wieder gestrichen; was genau, erfährt man Satz für Satz bei Schütt, dessen Biographie zwar den Staub wegblasen will, der sich unzweifelhaft auf den Weltautor Frisch gelegt hat, aber im Bemühen, die vielen Fundsachen eines Recherchelebens auch alle herzuzeigen, ihrerseits zum Staubigen beiträgt. Das ist ein Dilemma, dem sich Biographien immer aussetzen: Je mehr sie wissen, desto kleinteiliger wird’s, und soll es um die großen Linien gehen, müssen vielleicht Briefstellen daran glauben, von denen nicht zu wissen ist, ob es nicht gerade sie sind, die einer Dissertation auf die Sprünge helfen.

John C. G. Röhls dreiteilig-zentnerschwere Riesenbiographie über Wilhelm II. ist einer der seltenen Fälle, in denen die sozusagen totale Veröffentlichung jeder Zeile und jedes Memorandums die Faszination ausmacht, auch weil das bramarbasierende Wesen des Kaisers auf diese Weise schön zur Geltung kommt. Aber Wilhelm II. hat, macht Röhl glaubhaft, der Welt die Katastrophe des Ersten Weltkriegs beschert (und damit vermutlich auch die des Zweiten), und auch bei der Instanz Thomas Mann ist es so, dass die Faszination weniger das Instanzhafte als ein Leben ist, das, neben aller Produktivität, schlicht aufregend war: verborgene Homosexualität, Hitler, Exil. Damit kann die Instanz Frisch nun mal nicht dienen, die 1954 mit »Stiller« weltberühmt wurde und dann weltberühmt blieb, engagiert war (aber die Engagiertheit des Intellektuellen kritisch reflektierte), eine weltberühmte Affäre mit Ingeborg Bachmann hatte, zeitweise in Rom lebte, ein Bauernhaus im Tessin renovierte, regelmäßig in seine Lieblingsstadt New York reiste und mit den meisten großen Intellektuellen seiner Zeit in Kontakt stand.

Zwar ist Frisch längst kein so eklatanter Literaturbourgeois wie Salman Rushdie; aber indem sein Biograph uns Frischs Lieblingsitaliener in Manhattan hinterherträgt und weiß, dass der Jaguarfahrer Frisch sich in Zürich Zweitwohnungen kaufen konnte, wie er sie brauchte, entfaltet die Erzählung ein Leben, das in seiner Bürgerlichkeit sein Fades hat, das Auf und Ab mit der Weiblichkeit eingeschlossen. Sicher, die chronologische Erzählung ist die biographisch akkurateste; aber wenn nicht mehr passiert, als dass der Schweizer Geheimdienst Frisch für einen Kommunisten hält, der Autor in New York mit Alfred Andersch essen geht und natürlich zu 1968 eine kritisch-reflektierte Meinung hat, hat man spätestens nach der Hälfte des Buches Mühe mit der Fortsetzung, auch wenn man Schütts gelegentliches Zeitungsdeutsch aus »insofern« und »nachvollziehbar« als unvermeidlich zu überlesen gelernt hat. »Bevor er am 7. Januar 1963 nach New York flog, hoffte er auf etwas Sonne im Engadin, die sich aber kaum zeigte. Er vertrieb die Zeit mit Langlauf, Schach und viel Schlaf, traf in St. Moritz die Schauspielerin Marlene Dietrich ›einen Drink lang‹. Sie offerierte ihm für seinen Aufenthalt in Manhattan ihr Gäste-Apartment an der Park Avenue 993, zwölfte Etage. Es werde ›zauberhaft und bequem‹, lockte er Marianne, ›Du wirst hüpfen, meine Weltenbummlerin‹« – und da wäre jetzt die Frage, ob das alles in Schütts unerschütterlich-braver, ja zopfiger Nachzeichnung (»die Schauspielerin Marlene Dietrich«) viel langweiliger wird, als es doch gewesen sein kann, oder ob auch »eine Zeit, in der die Literatur und ihre Debatten die Gesellschaft zum Beben brachten« (Umschlagtext), sich in persönlicher Biographie, wie glamourös sie sei, bloß als Alltag niederschlägt, den die Chronologie dann pflichtschuldig verdoppelt. »Marianne kam einige Tage später nach. Tankred Dorst hatte sie zum Flughafen gefahren.« Das ist dann der Moment, wo wir zur Fernbedienung greifen.

Natürlich geht es dem Literaturwissenschaftler Schütt auch um Frischs Lebens- als Literaturthemen: Identität, Fiktion, Schuld, aber sie erscheinen hier wie Handwerkszeug, und schon stellt sich der Verdacht wieder ein, sie seien es auch gewesen. »Frisch war längst in eine Liga aufgestiegen, in der Kritik seinen Texten nicht mehr viel anhaben konnte. Man las ihn trotzdem.« Hier wird’s direkt interessant, aber eben nur fast, weil auch Schütt seinem Objekt nicht viel anhaben will und vielleicht auch nicht kann, Stichwort Instanz. Instanzen sind aber als solche langweilig, und wer noch nie von Frisch gehört hätte, wird über Schütts Lebensbericht nicht zum Fan werden, wie Biographien aber vielleicht eh nur von Fans gelesen werden, die die Petitessen so begierig sammeln wie ein Teenager früher Zeitungsausschnitte. Und trotzdem: »Der Schnittpunkt von Frischs Literatur und Biographie ist, wie man am Leben bleibt. In der Rede ›Öffentlichkeit als Partner‹ fragt er, warum man sich als Schriftsteller derart preisgibt. Seine Antwort: Um die Welt zu ertragen, um sich in der Welt zu ertragen. Er bezeichnet sich als Autor, dem ›Schreiben noch eher gelingt als das Leben‹.«

Heißer Scheiß, und heißer wird es bei Schütt nicht. Dialektik will es wiederum, dass der Gegenverdacht sich einstellt, so langweilig, wie Schütt ihn macht, kann Frisch, der seine erste Frau samt Kindern verließ, um zwischen Rom und New York, Berlin und Berzona solvent am Leben zu bleiben, unmöglich gewesen sein; und ein Blick in, sagen wir, »Wilhelm Tell für die Schule« bestätigt das. Dass das Vergnügen, das man bei der Lektüre hat, die Bräsigkeit Schütts ausleuchtet, wird nur bedingt vom Umstand wettgemacht, dass das Wiedersehen mit »Montauk« von Schütts biographischen Erläuterungen sehr profitiert: eine Arbeitsbiographie also, nicht eigentlich eine zum Vergnügen. Wer Frischs Freundin mal zum Flughafen gefahren hat, ist aber unter beiden Gesichtspunkten uninteressant.

Julian Schütt: Max Frisch. Biographie einer Instanz. 1955–1991. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2025, 706 Seiten, 38 Euro

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