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Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Den Hof bekommst du nicht

»Milch ins Feuer« von Regisseurin Justine Bauer erzählt von der Ungerechtigkeit herrschender (Geschlechter-)Verhältnisse auf dem Land
Von Ronald Kohl
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Starke Frauen: Mutter (Johanna Wokalek), Anna (Pauline Bullinger), Katinka (Karolin Nothacker)

Katinka (Karolin Nothacker) will Bäuerin werden: die Bäuerin. Sie träumt davon, die Landwirtschaft ihrer Mutter (Johanna Wokalek) zu übernehmen. Doch die sträubt sich, bockt wie Anton, der Stier auf dem Hof. Wenn Katinka auf ihm reiten will, lässt er sie erst voller Geduld aufsteigen, geht danach ein paar Schritte, um dann plötzlich zu stoppen und Katinka kopfüber ins hohe Gras stürzen zu lassen.

Auch die Mutter duldet, bildlich gesprochen, Katinkas Reitversuche als Bäuerin: Ihre Tochter ist eine nützliche und zudem absolut zuverlässige Hilfe. Sie packt immer mit an, wenn im Stall die Kühe gemolken werden. Sie fährt den Heuwender und auch den großen Traktor, wenn das Stroh zu quaderförmigen Bunden gepresst und danach aus der Maschine ausgestoßen wird, was das Ganze aussehen lässt wie die Endlosgeburt von Lego-Bausteinen.

Diese Art von Vergleich drängt sich immer wieder der nicht ganz gewollt schwangeren Anna (Pauline Bullinger) auf. Sie ist der Charakter, der in »Milch ins Feuer« die Geschehnisse auf der Leinwand hin und wieder aus dem Off kommentiert. Mal dient dies unserem Verständnis, mal rückt es ihre Sicht auf die Dinge in den Vordergrund.

Anna verbringt neuerdings viel Zeit mit Katinka und deren beiden Schwestern. Sie gehen jeden Tag in dem Fluss, der im Schatten der Bäume durchs Tal strömt, schwimmen. Mit Katinkas Bruder Adrian ist sie seit Beginn ihrer Schwangerschaft nicht mehr ganz so oft zusammen. Beinahe scheint es so, als würde sie die Entscheidung, Kind oder kein Kind, bis nach dem Ende der Badesaison hinausschieben – dieser Sommer ist doch zu schön.

Regisseurin Justine Bauer hat »Milch ins Feuer« in ihrer Heimatregion Hohenlohe gedreht, von der wohl alle, die den Namen jemals gehört haben sollten, denken, dass sie ein Teil von Franken ist, der im Schwäbischen liegt, obwohl es sich genau umgekehrt verhält. Ich sage das nur, um eine Vorstellung von dem Dialekt zu vermitteln, der im Film beinahe durchgängig gesprochen wird. Einzige Ausnahme ist die Bäuerin, Katinkas Mutter. Sie hat also eingeheiratet. Nur so geht es. Das wird allgemein akzeptiert. Doch Katinka sieht das anders.

Weil alle Männer im Film unbedeutende Rollen spielen, das Thema Kastration hingegen eine riesengroße, mag der Anschein entstehen, hier würde das Bild einer feministischen Utopie entworfen werden, die Vision von einem ökologischen Agrarmatriarchat. Tatsächlich widmet sich der Film jedoch der Frage, warum es genau dazu eben nicht kommt.

Auf verschiedensten Ebenen stoßen in »Milch ins Feuer« selbst starke Frauen an Grenzen, auch an Grenzen, die Frauen festgelegt haben.

Als der Nachbarhof den Milchbach runtergeht und sich schließlich das titelgebende Drama abspielt, liefert dies Katinkas Mutter den idealen Vorwand dafür, ihrer Tochter den Weg zur selbständigen Bäuerin zu verbarrikadieren. Es nutzt wenig, dass Katinka die Argumentation der Mutter als feige und heuchlerisch durchschaut: Ihr Bruder Adrian soll also den Hof übernehmen. Und an dieser ungerechten und auch ungerechtfertigten Wahl wird festgehalten, obwohl es in der Familie keinen Bauern gibt, der diese Entscheidung getroffen oder gar durchgedrückt haben könnte; ein Vater existiert nicht. Ob die Mutter den Hof auf den Sohn übertragen will, weil sie so ihre eigene Position besser behaupten zu können glaubt, als wenn ein »fremder« Mann einheiraten würde, oder ob sie schlichtweg der Tradition folgt, wird im Film nicht erörtert.

Es geht Justine Bauer um die lebensnahe Darstellung der vorherrschenden Verhältnisse. Junge Bäuerinnen müssen sich ihren Hof erheiraten. »Die einzige Chance für sie ist die Berufsschule«, sagt die Regisseurin. »Da schaffen sie es entweder, oder sie schaffen es nicht.«

Als die schwangere Anna einmal mit Katinka und deren Schwestern zum Fluss geht, treibt auf einer Luftmatratze ein nackter Mann vorüber. Anna wirft der kleinsten ihrer zukünftigen Schwägerinnen sofort eine Decke über den Kopf: »Eier bekommst du heute noch genug zu sehen.«

Gemeint ist die Kastration eines Lamas, das seit einigen Wochen auf dem Hof von Katinkas Mutter als kleine touristische Attraktion gehalten wird. Katinka und ihre Schwester müssen das Tier bändigen, so dass die Tierärztin und deren Gehilfin die Betäubung und die anschließende Operation vornehmen können. Anna unterdessen achtet nur darauf, dass alle alles richtig machen. Ein gutes Zeichen für den Fötus in ihrem Bauch. So habe ich diese Szene jedenfalls gedeutet: Sie hat sich auf dem Hof von Katinkas Mutter eingenistet. Und das kastrierte Lama, wenn es aus der Narkose erwacht, wird es ganz bestimmt genauso sehen.

Katinka übrigens hat mittlerweile doch gelernt, auf dem Stier zu reiten, ohne abgeworfen zu werden.

»Milch ins Feuer«, Regie: Justine Bauer, BRD 2024, 78 Min., Kinostart: heute

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